Mit heißem Kopf jederzeit erreichbar

Rund 500 Millionen Mobiltelefone sind weltweit im Einsatz. Zahlreiche Studien gibt es über den Elektrosmog. Doch ob Handys ein Gesundheitsrisiko darstellen, darüber streiten die Wissenschaftler immer noch  ■ Von Wolfgang Löhr

Vor wenigen Jahren noch galten sie als etwas Besonderes. Heute scheint fast jeder ein Mobiltelefon in der Tasche zu haben – wenn auch nicht immer zur Freude der Mitmenschen. Rund eine halbe Milliarde Handys sind weltweit in Betrieb, allein in Deutschland wurden bis Ende 1998 fast 14 Millionen Handys verkauft. Bis zum Jahresende soll, so hoffen die Telefongesellschaften, in Deutschland jeder Fünfte mit einem Mobiltelefon ausgerüstet sein. Obwohl niemand darauf verzichten will, ein Unbehagen bleibt. Was ist dran an den gesundheitsschädlichen Folgen der elektromagnetischen Felder, fragen sich viele Nutzer. Sind sie wirklich so harmlos, wie die Hersteller behaupten?

Schlafstörungen, Migräne aber auch Impotenz, Krebs oder Alzheimer wurden in der Vergangenheit als mögliche Folgen beschrieben. Eine selbst von Experten nicht mehr zu überschauende Anzahl von wissenschaftlichen Studien ist in den letzten Jahren angefertigt worden. Zur Klärung der Frage haben sie kaum beigetragen. Im Gegenteil, sich widersprechende Ergebnisse trugen noch mehr zur Verwirrung bei.

Ein erster Verdacht, daß elektromagnetische Felder Krebs auslösen können, wurde 1979 geäußert. US-Wissenschaftler legten eine Studie vor, die einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen bei Kindern und einer Exposition mit Feldern der Stromversorgung vermutete. Mit der Massenverbreitung kamen auch die Handys und Funkstationen der Telefonbetreiber in die Diskussion.

Die Wellen des Mobilfunks gehören zu den sogenannten „hochfrequenten elektromagnetischen Strahlungen“, die in einem Frequenzbereich zwischen 30 Megahertz und sechs Gigahertz liegen. Je nach Sendeleistung und Frequenz können sie bis in eine Tiefe von zehn Zentimetern in den menschlichen Körper eindringen. Zwei unterschiedliche Effekte sind bekannt, die von den elektromagnetischen Wellen ausgelöst werden. Zum einen kommt es zu einer Erwärmung der bestrahlten Körperregion, der Effekt ist bekannt vom Mikrowellenherd. Andererseits können die geringen elektrischen Kräfte des Magnetfeldes eine Veränderung der Zellstrukturen auslösen. Um Gesundheitsgefahren auszuschließen sind für Magnetfelder Grenzwerte festgelegt worden. Die bestrahlten Körperregionen sollen höchstens um 0,5 bis ein Grad Celcius erwärmt werden.

Soweit sind sich die Experten noch einig. Gestritten wird jedoch darüber, welche Effekte zusätzlich noch aufreten. Für Furore sorgte vor kurzem eine vom britischen Gesundheitsministerium in Auftrag gegebene Studie. Handys beschleunigen das Reaktionsvermögen, lauteten die Schlagzeilen in der Presse. Gab es bisher nur negative Berichte über Handys, so sollten jetzt plötzlich die elektromagnetischen Strahlungen der Handys zu einer Verbesserung der kognitiven Leistungen des Menschen führen.

Bei der an der Universität Bristol durchgeführten und in der Fachzeitschrift International Journal of Radiation Biology veröffentlichten Studie wurde Testpersonen eine Apparatur auf den Kopf gesetzt, mit der die elektromagnetische Strahlung der Mobiltelefone simuliert werden konnte. In dem Versuch mußten die Probanden einfache, über einen Bildschirm eingeblendete Fragen beantworten, und zwar nur mit Ja oder Nein. Das Forschungsteam von Alan Preece registrierte, wie schnell die Antworten kamen. Das Ergebnis wurde von den Boulevardblättern gierig aufgegriffen: Im Vergleich zu Probanden, die keiner elektromagnetischen Strahlung ausgesetzt waren, antworteten die bestrahlten Versuchspersonen schneller. Handy-Benutzer reagieren schneller, so die Schlußfolgerung. Unterschlagen wurde dabei, daß die Studie auf sehr wackligen Beinen steht. Lediglich um vier Prozent war die Reaktionszeit der bestrahlten Testpersonen kürzer. Der Unterschied ist statistisch nicht abgesichert. Ausgeschlossen wird von Preece auch, daß es zu einer Beeinflussung des Kurzzeitgedächtnisses kommt. Lediglich eine leichte Erwärmung der Hirnregionen hat der Wissenschaftler feststellen können. Ob dies zu einer Veränderung des Blutkreislaufes führt, das sollen weitere Experimente zeigen.

Spekuliert wird, daß die geringe Temperaturerhöhung in den Zellen die Produktion von Hitzeschock-Proteinen initiiert, die einen Einfluß auf den Blutfluß haben. Die Bildung von Hitzeschock- Proteinen ist eine normale Reaktion des Körpers auf Hitzestreß. Ob diese eventuell langfristig zu Gesundheitsschäden führen können, ist jedoch noch ungeklärt.

Ein ganz anderes Phänomen entdeckte der Wissenschaftler David de Pomerai von der Universität in Nottingham. Er bestrahlte kleine Würmer, Nematoden, über Nacht mit elektromagnetischen Wellen. Überraschend zeigte sich bei einigen seiner Experimente, daß die bestrahlten Wurmlarven im Vergleich zu den unbehandelten um etwa fünf Prozent schneller wuchsen. Die Zellen der Tiere teilten sich in kürzeren Zeitabschnitten. Bisher gibt es noch keine Erklärung für dieses Phänomen. Vielleicht wirken die Strahlen auch nur wie eine Brutlampe. Als nächstes will der Forscher diese Versuche mit Säugetierzellen wiederholen. Sollte sich das gleiche Ergebnis einstellen, so de Pomerai, könnte dies ein Hinweis dafür sein, daß die Strahlen Krebs auslösen könnten.

Eine gemeinsame Studie der Universitätsklinik Großhadern in München und dem Bundesamt für Stahlenschutz erbrachte im Gegensatz dazu ein ganz anderes Ergebnis. Um bis zu drei Grad erhöhte sich die Temperatur der Wangenhaut bei einem Dreißig- Minuten-Gespräch mit einem Mobiltelefon. Ursache war jedoch nicht die Absorption der elektromagnetischen Strahlung, sondern die Betriebswärme des Handys. Um sechs Grad heizte sich der Akku des Handys während des Betriebes auf. Diese Wärmeenergie wurde an die Haut weitergegeben. Dieser Effekt hätte sich aber auch bei einer harmlosen Wärmflasche eingestellt.