Spendenvermehrung im Stundentakt

■ Der Krieg um das Kosovo hat die Deutschen spendabel gemacht. Bei den großen Hilfsorganisationen staut sich das Geld

Berlin (taz) – Die Bilder rühren an. Auf Traktoren hocken abgekämpfte Menschen, kleine Kinder schauen mit aufgerissenen Augen aus Busfenstern. „Die Bilder der Vertreibung machen den Krieg im Kosovo sehr dicht“, sagt Christel Neudeck von Cap Anamur.

Deutschland wird erfaßt von einer Welle der Spendenbereitschaft. Mehr als 125 Millionen Mark haben alle Hilfsorganisationen zusammen gesammelt. Das ZDF gibt den Kontostand seines Spendenaufrufs wie eine Hochwassermeldung bekannt: Nahezu 80 Millionen Mark wurden bislang akquiriert.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Notärzteorganisation Cap Anamur teilen das Geld untereinander auf. Gut 45 Millionen gehen an das DRK, Cap Anamur hat etwa 35 Millionen auf dem Konto. Binnen Stunden vermehren sich die Spenden im Zehntausendertakt. „So etwas haben wir noch nicht erlebt“, sagt Cap-Anamur-Sprecherin Christel Neudeck. Caritas und Kirchen sammeln ebenfalls fleißig. Tendenz steigend.

Die Unsicherheit, nicht zu wissen, wie der Krieg zu beenden sei, mache spendabel. „Viele, die anrufen, haben Angst, daß der Krieg, so nah an Deutschland, sich ausweiten kann“, sagt Neudeck. „Die Leute spüren, daß auch der Bundeskanzler nicht weiß, wie es weitergeht. Und das macht angst.“

Bisher galt bei den Hilfsorganisationen die Formel, daß für Krisen- und Kriegsregionen weniger gespendet wird als bei Naturkatastrophen. Meist löst die offensichtliche Unschuld der Opfer von Dürre und Hurrikans mehr Mitleid aus als die oft unklare Schuldfrage bei Kriegen. DRK-Sprecherin Susanne Anger erklärt sich das hohe Spendenaufkommen für die Vertriebenen damit, daß Deutschland als Kriegspartei mitmache. „Und da das Nato-Ziel, die Vertreibung der Kosovo-Albaner zu stoppen, nicht erreicht wurde, spenden die Leute.“ Geld soll nun die Not lindern. „Das ist ein spezielles deutsches Gefühl“, glaubt Anger.

Das DRK hat seit Monatsbeginn 1.800 Tonnen Hilfsgüter nach Makedonien, Albanien und Jugoslawien gebracht. Im makedonischen Lager Brazda arbeitet seit einigen Tagen eine Wasseraufbereitungsanlage, die täglich 120.000 Liter Trinkwasser liefert. Ein komplettes Krankenhaus mit Operationssaal, Entbindungsstation und 200 Betten wurde aufgeschlagen. In den nächsten Tagen werden weitere Lkw und Nahrungsmittel in die Region gebracht.

In Albanien will das DRK sein Augenmerk auf die Unterstützung der albanischen Familien richten, die Vertriebene aus dem Kososvo bei sich aufgenommen haben. Anger schätzt, daß rund 80.000 Kosovaren Unterschlupf in albanischen Familien gefunden haben. Sie sollen mit Lebensmitteln und Zelten versorgt werden. Auch Cap Anamur will sich in den kommenden Wochen verstärkt um die Gastfamilien in Albanien kümmern. Logistische Probleme bei der Verteilung der Hilfsgelder sieht keine der beiden Organisationen.

Das DRK hat die Koordination für die medizinische Betreuung der Vertriebenen übernommen, wenn sie von ihren Fluchtpunkten nach Deutschland geflogen werden. Bei der Aufnahme der Kosovo-Albaner in Deutschland seien 500 ehren- und hauptamtliche Helfer im Einsatz, sagt Anger.

Cap Anamur sei nicht überfordert, sagt Christel Neudeck. In der Kölner Zentrale sind Mitarbeiter rund um die Uhr damit beschäftigt, Hilfslieferungen zu organisieren. Elf hauptamtliche Mitarbeiter koordinieren in Albanien und Makedonien die Arbeit. Die Spenden, die nicht sofort in Hilfsleistungen umgesetzt werden können, würden auf ein zinsbringendes Konto gelegt und nach und nach aufgebraucht. „Unsere Hilfe ist noch viele Wochen und Monate notwendig“, meint Neudeck.

DRK und Cap Anamur sind Partnerorganisationen verschiedener Medien, was quasi einem Gütesiegel gleichkommt. Kleinere Hilfsorganisationen werden von ihnen abgehängt. Care zählte gestern 511.000 Mark auf ihrem Konto, der Arbeiter Samariter Bund (ASB) bekam rund 600.000 Mark zusammen. „Alles stürzt sich auf DRK und Cap Anamur. Bei uns fließt das Geld nicht so reichlich“, klagt ASB-Sprecherin Dorothee Mennicken. Ihre Hilfsorganisation plant, Vertriebene in Albanien psychologisch zu betreuen. Ob das Projekt allerdings zustande kommt, ist ungewiß. Derzeit benötige der ASB die Geldspenden, um Zelte, Nahrung und Kleidung in die Krisenregionen zu schaffen.

Die Kritik, das ZDF begünstige zwei Hilfsriesen, weist der Mainzer Sender zurück. „Wir haben schnell nach professionellen Partnern gesucht und sie sofort bei DRK und Cap Anamur gefunden“, sagt Pressesprecher Walter Kehr. Jetzt staut sich das Geld. Annette Rogalla