Grüne Kampfabstimmung über Spitzenkandidatur

■  Die Fraktionschefinnen Renate Künast und Michaele Schreyer bewerben sich am 8. Mai beide um die grüne Spitzenkandidatur

Die Grünen ziehen im Herbst mit einer Frau an der Spitze in den Wahlkampf. So viel steht fest. Nur ob sie Renate Künast oder Michaele Schreyer heißen wird, entscheidet die Parteibasis erst am 8. Mai. Dann treten die beiden Vorsitzenden der Abgeordnetenhausfraktion bei einer Mitgliederversammlung gegeneinander an. „Um die Spitzenkandidatur auf der Landesliste bewerben sich die beiden Fraktionsvorsitzenden Michaele Schreyer und Renate Künast“, ließ gestern der Parteivorstand wissen. „Damit hat die Partei die Wahl zwischen zwei starken Frauen mit unterschiedlichem persönlichem und inhaltlichem Profil.“

Daß sich Schreyer und Künast um den Posten bewerben würden, galt bereits seit längerem als ausgemacht. Die Kandidatur Künasts entschied sich endgültig erst Anfang dieser Woche. Künast war – neben ihren Ambitionen auf die Berliner Spitzenkandidatur – seit Monaten für einen grünen Posten in der EU-Kommission gehandelt worden. Der scheint aus bundespolitischen Gründen derzeit jedoch ungewiß.

Die Justizexpertin Künast mit ihren Schwerpunkten auf Demokratiefragen, Gleichstellungspolitik, Jugendpolitik und Rechtsextremismus bezeichnet ihren politischen Standpunkt in der Partei als „Mitte-links“. Sie steht, wie sie selbst betont, für eine Politik gegen jede Art von Ausgrenzung. Die Finanzexpertin Schreyer, profiliert in Umweltpolitik, Stadtentwicklung und Sozial- wie Wirtschaftsfragen, verortet sich „auf demselben innerparteilichen Flügel“, doch ihre Themen sind, wie sie sagt, „stärker realpolitisch besetzt“. Im Vordergrund steht für sie die wirtschaftliche Situation Berlins. In der Partei gilt Renate Künast als Kandidatin eines pragmatischen Linkskurses, während Schreyer dem Realo-Flügel angehört.

Beide Kandidatinnen betonten gestern, es unterscheide sie im wesentlichen ihre Themensetzung und ihre Geschichte. Juristin Künast kommt ursprünglich aus der Sozialarbeit und begann ihre politische Karriere mit justizpolitischen Themen. Michaele Schreyer ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hatte darin auch immer ihren politischen Schwerpunkt.

Seit die beiden recht unterschiedlichen Persönlichkeiten gemeinsam die Fraktion anführen, haben sie die zwischen ihnen existierenden politischen und persönlichen Widersprüche hintangestellt. Ihre gemeinsame Tätigkeit wird gern mit dem Begriff der „produktiven Konkurrenz“ umschrieben. Beide können auf Erfahrung mit der ersten rot-grünen Berliner Koalition unter Walter Momper zurückblicken. Künast als Fraktionsvorsitzende, Schreyer als Umweltsenatorin.

Welche der beiden Frauen das Rennen machen wird, gilt in der Partei als offen. Es wird damit gerechnet, daß die Unterlegene den zweiten Listenplatz belegen wird. Auf Platz 3 müßte dann nach Parteibeschlußlage ein Parlamentsneuling gesetzt werden. Der vierte Platz könnte an den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden und profilierten Innenpolitiker Wolfgang Wieland gehen, der eigentlich für den 2. Platz kandidieren wollte.

Insgesamt gibt es für die Landesliste, die im Rahmen einer Mitgliedervollversammlung am 8. und 9. Mai gewählt werden soll, einen starken Andrang. Dabei kann nur die Hälfte der bisherigen Fraktion mit einem sicheren Listenplatz rechnen. Ende vergangenen Jahres hatten die Grünen beschlossen, ein Drittel der Plätze für Parteimitglieder zu reservieren, die bislang noch nicht im Parlament vertreten waren. Durch diese „Neuenquote“ hofft die Partei ein Überaltern vermeiden und den Generationswechsel organisieren zu können. Barbara Junge