Albanische Mafia zweigt Hilfsgüter ab

■ Angeblich kommt nur jedes dritte Hilfspaket bei den Flüchtlingen an. Die Polizei ist machtlos gegen die Raubzüge. Politiker fordern, die Nato müsse die Lager verwalten

Soldaten der US-Armee laden in Nordalbanien Paletten mit Überlebensrationen aus ihren Hubschraubern. Die Pakete sollen in ein Flüchtlingslager gebracht werden. Nur wenige Minuten wenden die Soldaten ihre Blicke von dem Stapel ab, um nach Transportern zu suchen – und schon sind die Hilfsgüter spurlos verschwunden. Dieser Zwischenfall vergangene Woche im Norden des Landes ist kein Einzelfall. Die Pakete aus dem Westen sind begehrt bei der albanischen Mafia, die mit Schwarzhandel ein einträgliches Geschäft betreibt. Mehrere hundert Tonnen Lebensmittel, Medikamente, Zelte und Dekken kommen zwar täglich auf dem Flughafen von Tirana oder im Hafen von Durres an, doch ein hoher Prozentteil verschwindet auf dem Weg zu den Flüchtlingslagern.

„Sicherlich gibt es Unterschlagungen“, sagt Albaniens Regionalminister Arben Demeti. „Ein Teil der Hilfsgüter gerät wegen mangelnder Organisation und Koordination in falsche Hände.“ Die oppositionelle Tageszeitung Koha Jone schrieb in dieser Woche, daß von zehn Rationen, die nach Albanien gebracht werden, nur drei auch wirklich bei den Flüchtlingen ankommen.

Tatsächlich sind die albanischen Behörden machtlos gegenüber den Banden, die den Norden des Landes beherrschen. Nach den Unruhen im März 1997 erlangte die Regierung nicht mehr die Gewalt über die Region. Die Ankunft der Flüchtlinge hat das Chaos nur noch verstärkt. „Dutzende Lastwagen lösen sich täglich zwischen dem Hafen von Durres und Tirana in Luft auf“, sagt ein westlicher Diplomat. In einigen Gegenden seien die lokalen Behörden direkt mit der Mafia verstrickt. „Manche Hilfsorganisationen haben diese Regionen verlassen, weil sie nichts gegen die Diebe ausrichten konnten“, ergänzt der Diplomat.

Die Regierung hat inzwischen eine Notfallkommission eingerichtet, die helfen soll, den Transport und die Verteilung der Hilfsgüter zu koordinieren. Doch der Handlungsspielraum dieser Kommission ist eingeschränkt: In Albanien gibt es keine flächendekkenden Verwaltungsstrukturen. Auch das gelegentliche Kompetenzgerangel der internationalen Hilfsorganisationen ist der schwierigen Aufgabe nicht gerade dienlich.

Die Polizei sollte der Notfallkommission helfen, doch die Beamten haben nur wenige Fahrzeuge. Den Beamten stehen Gegner gegenüber, die vielfach besser bewaffnet sind, sind doch während der Aufstände mindestens eine Million Pistolen und Revolver aus den gestürmten Kasernen und Amtsstuben gestohlen worden.

Auch wenn noch keine bewaffneten Überfälle bekannt geworden sind: Helfer berichten, daß nur die Hilfsgüter wirklich ankommen, die direkt zu den Flüchtlingen gebracht werden. „Wenn man mit zwischengeschalteten Partnern zusammenarbeitet, sind die Diebstähle nicht zu vermeiden“, sagt ein Vertreter einer französischen Hilfsorganisation.

Nach Ansicht von Jonuz Begaz, der die Sonderkommission des albanischen Parlaments für Flüchtlinge leitet, kann nur die Nato das Problem lösen. „Die Soldaten der Allianz müssen die Lager verwalten und sich gänzlich um sie kümmern“, sagt Begaz, „solange, bis die Flüchtlinge wieder im Kosovo sind. Michel Moutot (AFP)