Vom Pfründesichern alter Haudegen

■ Nach einer Sondersitzung zu möglichen Wahlanfechtungen versucht die Berliner CDU jegliche Restrisiken zu eliminieren

Eigentlich sieht es für die CDU in der Hauptstadt glänzend aus: Die Umfragewerte der Regierungspartei gehen fünf Monate vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus steil nach oben, der Spitzenkandidat steht in der WählerInnengunst ganz oben, und der Koalitionspartner SPD reibt sich innerparteilich auf. Wäre da nicht ein politisches „Restrisiko“.

Der CDU droht, so befürchtet der christdemokratische Landesvorstand, eine Wahlanfechtung im Herbst. Nach innerparteilichen Machtkämpfen von Anfang des Jahres wird die Aufstellung der KandidatInnenlisten für das Abgeordnetenhaus in den eigenen Reihen kritisiert. Der Schritt zur Wahlanfechtung nach der Wahl im Herbst ist da nur ein geringer.

Um die Möglichkeit einer solchen Wahlanfechtung noch vor der Abgabe dieser Landeslisten für die Herbstwahl zu verhindern, hatte gestern der Berliner Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen zu einer Sondersitzung des Landesvorstandes geladen. Einziger Punkt der Tagesordnung: die Querelen um die Aufstellung der Listen und deren Anfechtung.

Üblicherweise stellt die Berliner CDU ihre KandidatInnen in Bezirkslisten auf. Zwei dieser Listen wurden bereits jetzt, wenige Wochen nach ihrer Aufstellung wieder angefochten. Von Parteimitgliedern. Da muß der Parteivorstand handeln. „Wir müssen sicherstellen, daß die Aufstellungsverfahren zweifelsfrei und ohne rechtliches Restrisiko verlaufen sind“, sagte gestern Parteisprecher Matthias Wambach. Die Überprüfung dem gerichtlichen Weg zu überlassen, will die CDU nicht riskieren: Bis zum 3. August müssen die Listen für das Abgeordnetenhaus beim Landeswahlleiter eingegangen sein, aber: „Die Gerichte könnten das niemals bis dahin klären“, so Wambach.

Nicht einmal die Gutachten, die die Berliner CDU in Auftrag gegeben hat, konnten eindeutig klären, ob gewisse Listen vor Anfechtung sicher sind. Deshalb visierte die Führungsspitze der CDU gestern vor der Vorstandssitzung die einzig verbleibende Lösung an: Wahlwiederholung. Darüber hinaus wollte die CDU-Spitze ein Verfahren beschließen, nachdem auch alle anderen 21 Bezirksverbände der Union ihre Listenwahlen auf Fehler überprüfen müssen.

Stimmen die Kreisvorsitzenden diesem Verfahren heute zu, stehen nun in Berlin-Wilmersdorf und in Zehlendorf Neuwahlen an – und damit die Wiederbelebung von Grabenkämpfen und politischen Stellungskriegen.

Die Berliner Unionsspitze um Eberhard Diepgen und den Fraktionschef Klaus Landowsky hatten für das Wahljahr 1999 – nicht zuletzt unter dem Eindruck des Debakels bei der Bundestagswahl – die Devise Verjüngung und Erneuerung ausgegeben. Vor acht Wochen, als man im Bezirk Wilmersdorf die KandidatInnen für das Berliner Parlament aufstellte, hatte dort allerdings ein Garde alter Frontstadtmänner die Vorgabe entschieden mit Füßen getreten und die Nachwuchshoffnungen der Partei sauber abserviert. Sowohl ein junger Staatssekretär als auch eine profilierte Bildungspolitikerin, beide vom liberalen Flügel, fielen dem Pfründesichern konservativer, altgedienter Haudegen zum Opfer. „Das Politbüro hat junge, begabte Nachwuchskräfte weggebissen“, faßte Landowsky den Vorgang zusammen.

Andere waren weitergegangen, hatten den alten Haudegen Mauscheleien vorgeworfen und Manipulationen des Kreisvorstandes. Spitzfindiger ist die Wahlanfechtung im Bezirk Zehlendorf. Hier wird die Frage erörtert, welchen Einfluß KreisvorsständlerInnen bei der Nominierung haben dürfen. Das Ergebnis jedoch dürfte dem von Wilmersdorf gleichen: Wahlwiederholung zugunsten der Gesamtpartei. Barbara Junge