Grüne Gegensätze auf Landesparteitagen

■  In Niedersachsen und Berlin wird nach langer Debatte für eine befristete Feuerpause der Nato votiert. Delegierte in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern verlangen hingegen einen sofortigen Stopp der Luftangriffe

Auf Landesparteitagen der Bündnisgrünen in Niedersachsen und Berlin haben die Delegierten sich mit knappen Mehrheiten für einen befristete Feuerpause der Nato ausgesprochen. Dagegen votierten die Grünen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern für einen sofortiges Ende der Luftangriffe.

Nach fünfstündiger Debatte verabschiedeten die niedersächsischen Grünen eine Erklärung zum Kosovo-Krieg, mit der Bundesaußenminister Fischer durchaus leben kann. Die Erklärung, für die sich 80 der gut 150 Delegierten aussprachen, verlangt „eine sofortige, einseitige, befristete Feuerpause und eine Unterbrechung der Luftangriffe der Nato“ und verknüpft die Unterbrechung, anders als die Bundesregierung, nicht mit Vorbedingungen. Der Landesverband verurteilte außerdem „die Vertreibung und Ermordung der albanischen Bevölkerung durch die jugoslawische Regierung im Kosovo auf das schärfste“, begrüßte „den Friedensplan von Außenminister Joschka Fischer und erteilte dem Einsatz von Bodentruppen eine definitive Absage. Die Bundesregierung forderte er auf, langfristige Bedingungen für nichtmilitärische Krisenintervention zu verbessern. Die niedersächsischen Grünen lehnten in ihrer Erklärung zudem „eine Selbstmandatierung der Nato als weltweite Interventionsmacht auf Kosten der Autorität der Vereinten Nationen“ ab. Mit 71 Stimmen knapp unterlegen war auf dem Landesparteitag in Uelzen eine zweiter Antrag zum Krieg, der ein unverzügliches und unbefristetes Ende der Luftangriffe der Nato auf Jugoslawien verlangte und den der niedersächsische Landesvorsitzende Hans Albert Lennartz unter der Überschrift. „Den Krieg beenden“ eingebracht hatte.

Am Freitag abend erlebte der Berliner Landesverband auf seinem Parteitag eine turbulente dreistündige Debatte. Am Ende stimmten 72 Delegierte des Parteitags für eine befristete Waffenpause. Das waren nur elf Stimmen mehr als ein Papier der Arbeitsgruppe Frieden/Internationales, das sich für einen „sofortigen, einseitigen Stopp der Bombenangriffe“ aussprach.

Für den befristeten, bedingungslosen Waffenstillstand, der zur Aufnahme von Verhandlungen genutzt werden soll, plädierte ein Antrag des Landesvorstands, der ein Kompromiß zwischen Realos und Linken ist. Die Befürworter einer sofortigen Beendigung der Nato-Angriffe hatten gleich vier Anträge vorgelegt, die sich in Einzelpunkten unterschieden. Vor der Debatte rückte ein Trupp junger Leute in Kampfanzügen in den Saal. Militärische Tarnnetze wurden über den Tisch des Präsidiums geworfen, die jungen Leute kaperten das Saalmikrophon. Die Anhänger der „Antimilitaristischen Aktion“, die kürzlich das Büro des Landesverbandes besetzt hatten, warfen den Grünen vor, zur „Kriegspartei“ geworden zu sein. Im Saal nahm die Debatte einen hochgradig emotionalen Verlauf. „Widerlich und unanständig“ fand Elisa Rode, Jugendstädträtin aus Berlin-Tiergarten, Clintons und Schröders Auftritt mit Flüchtlingskindern in Rheinland-Pfalz. Mit Abscheu in der Stimme sagtesie: „Genauso unanständig ist ein befristeter Waffenstillstand.“ „Ungeheuerlich ist das!“, sagte die Parteilinke mit wachsender Dezibel-Zahl. „Seid mutig. Sagt: Hört auf, aber richtig!“, forderte sie die Delegierten auf. Ihr Nachredner, Peter Lohaus, erhielt jedoch starken Beifall, als er ihr entgegnete: „Du sprichst der rot-grünen Regierung im Kern ab, menschlich reagieren zu können. So weit sollten wir nicht gehen. So kommen wir nicht weiter.“ Die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer handelte sich mit ihrer Rede zahlreiche Zwischenrufe ein. Etliche Delegierte empfanden es als Provokation, wie sie von ihrer inneren Zerrissenheit redet, ohne aber ein kritisches Wort für die Entwicklung des Kosovo-Krieges zu finden. Sie verteidigte die Angriffe, „weil wir keinen anderen Weg wußten“, und verwies auf die Leistungen des grünen Außenministers: „Rußland ist einbezogen, die UNO ist wieder einbezogen.“

Die Bündnisgrünen in Mecklenburg-Vorpommern sprachen sich am Samstag im Gegensatz zu den Berlinern für die „sofortige Einstellung der militärischen Handlungen durch die Nato in Serbien“ aus. Zum Abschluß eines Landesparteitags in Klink im Müritzkreis stimmten 30 von 48 Delegierten für diesen Antrag. Darin wird ausdrücklich die Bundesregierung aufgefordert, die deutsche Beteiligung an den Nato-Angriffen „sofort und bedingungslos“ zu stoppen. Brandenburgs Bündnisgrüne hatten am Samstag auf einem Kleinen Parteitag in Potsdam ebenfalls einen sofortigen Stopp der Nato-Luftangriffe gegen Jugoslawien gefordert.

Jürgen Voges, Uelzen

Dorothee Winden, Berlin