China läßt seine Patrioten demonstrieren

■  Nach dem Nato-Angriff auf Chinas Botschaft in Belgrad versammeln sich Zehntausende im Pekinger Botschaftsviertel. Die gewaltsamen Demonstrationen wertet die Führung als Ausdruck des Patriotismus

Berlin (taz) – Chinas Regierung hat sich hinter die landesweiten Proteste gegen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien gestellt, die durch die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad ausgelöst wurden. In einer Fernsehansprache bezeichnete Vizepräsident Hu Jintao gestern die Demonstrationen vor den Botschaften der Nato-Staaten als „legal“ und sagte, sie „spiegeln die starke Empörung des Volkes gegen den Angriff der von den USA geführten Nato und den starken Patriotismus des chinesischen Volkes wider“. Die breiten Massen würden ihre Proteste im fundamentalen Interesse des Landes auf der Grundlage der Gesetze fortsetzen, so Hu. Zugleich warnte er davor, die „soziale Stabilität“ zu gefährden.

Seit Samstag demonstrieren in chinesischen Großstädten Zehntausende vor den Vertretungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und der Niederlande. Allein gestern abend protestierten im Pekinger Botschaftsviertel bis zu 100.000 Menschen. Mit einem Brandsatz wurde ein Raum der US-Botschaft angezündet, bevor er von Mitarbeitern gelöscht werden konnte. Bereits am Samstag waren Scheiben des Gebäudes eingeworfen worden. In Chengdu in der Provinz Sichuan setzten Demonstranten die Residenz des US-Konsuls in Brand. Polizisten griffen nur selten ein, auch nicht, als vereinzelt westliche Journalisten angegriffen wurden.

Die Demonstranten sind meist Studenten, die in Bussen vor die ausländischen Vertretungen gebracht wurden. Seit die Regierung die Proteste offen unterstützt, demonstrieren auch verstärkt Angehörige anderer Bevölkerungsschichten. Vizepräsident Hu sicherte den Schutz der Botschaften zu. Trotzdem wollen die USA zunächst ihre Vertretungen schließen.

In der Nacht zum Samstag waren beim Abwurf dreier Nato-Bomben auf die chinesische Botschaft in Belgrad vier Chinesen gestorben, zwanzig weitere wurden verletzt. Nato-Generalsekretär Javier Solana sprach von einem tragischen Fehler. Staatschefs von Mitgliedsstaaten der Allianz, darunter US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Gerhard Schröder, entschuldigten sich. Die Botschaft sei aufgrund falscher Geheimdienstinformationen für das serbische Beschaffungsamt gehalten worden.

Chinesische Medien warfen der Allianz vor, die Botschaft absichtlich angegriffen zu haben. Das KP-Organ Volkszeitung schrieb, die Nato habe absichtlich chinesisches Blut vergossen. Noch in der Nacht von Freitag auf Samstag hatte China den Weltsicherheitsrat in New York zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen. Pekings Vertreter Qin Huasun bezeichnete den Angriff als „Kriegsverbrechen“.

Trotz des schweren Zwischenfalls setzte die Nato ihre Angriffe fort. Rußlands Präsident Boris Jelzin, der den Angriff auf die Botschaft als „barbarisch und unmenschlich“ bezeichnete und Außenminister Igor Iwanow zur Absage seines Besuches in London zwang, sprach sich trotzdem für eine Fortsetzung diplomatischer Bemühungen aus. Sein Sondergesandter Wiktor Tschernomyrdin und Bundeskanzler Schröder bekräftigten nach einem Treffen bei Bonn, daß die Vereinbarungen der G-8-Außenminister von vergangener Woche Grundlage für eine politische Lösung sein müßten.

Sven Hansen

Reportage Seite 3