Meine erste Kriegserklärung   ■  Von Martin Sonneborn

In den vergangenen Wochen wurde in den Medien – auch und gerade auf dieser Seite! – eine derart polemische Kritik am „Krieg“ geäußert, daß ich mich hier einmal verteidigen möchte. Gut, ich habe Jugoslawien den Krieg erklärt – aber ich hatte meine Gründe! Es war nämlich so: Mitte April fiel uns Titanic-Redakteuren auf, daß die Einsätze deutscher Bomber und die Fernsehbilder aus Belgrad eigentlich weniger nach der offiziell benannten „humanitären Hilfsaktion“ rochen als vielmehr geradezu nach, genau: Krieg!

Aber hatte es überhaupt eine ordentliche Kriegserklärung gegeben? Hatten Bundespräsident oder -kanzler die entsprechende diplomatische Note übersandt („... betrachten wir uns als im Kriegszustande mit Ihnen befindlich“ bzw. „... seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“)? Hatten sie nicht. Das Bombardieren souveräner Staaten mitten im tiefsten Frieden aber ist nach geltendem Völkerrecht so was von verboten!

Um die Kuh vom Eis zu bekommen, rief ich in der jugoslawischen Botschaft, Bonn, an. Was ich in der Aufregung nicht bedachte, war die Tatsache, daß Jugoslawien bereits die diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatte. Zum Glück jedoch war Exbotschafter Jeremic in Belgrad über sein Handy zu erreichen und erklärte dem „Mitarbeiter des Kanzleramtes“, die angekündigte „Erklärung des deutschen Bundeskanzlers Schröder für Präs. Miloevic“ werde am besten durch die schwedische Botschaft übermittelt.

Da die letzte ordentliche deutsche Kriegserklärung – pikanterweise den Amerikanern gegenüber, unseren jetztigen Verbündeten! – fast 60 Jahre zurückliegt, beschlossen wir, das ganze möglichst formlos zu halten: Das Fax an die schwedische Botschaft in Bonn trug unter dem Briefkopf des Bundeskanzlers und der entsprechenden „Bitte um Weiterleitung an den Diktator Miloevic, Belgrad“ folgenden Text: „Betr.: Kriegserklärung. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärt Ihnen hiermit rückwirkend ab dem 24. 3. 99 den Krieg. Im Zusammenhang damit kann es bei Ihnen zu nächtlichen Ruhestörungen, Flächenbombardements und anderen Kampfhandlungen kommen, die wir uns noch genauer überlegen müssen. Bitte tragen Sie dafür Sorge, daß teure Gebäude, zerbrechliche kulturhistorische Werte und seltene Zootiere aus dem Weg geräumt werden, da wir andernfalls für Beschädigungen keine Haftung übernehmen können. PS: Haben Sie Verständnis dafür, daß Ihnen eine ordnungsgemäße Kriegserklärung erst heute zugeht. Durch einen Krankheitsfall im Sekretariat hat sich über die Osterfeiertage eine ganze Menge Post bei uns aufgestaut. Mit freundl. Gruß, Schröder“

Als ich vorsichthalber in der Botschaft anfragte, ob die zugefaxte Erklärung angekommen sei, herrschte dortselbst gerade große Aufregung. Botschafter Larson persönlich wollte den „Mann vom Kanzleramt“ sprechen, bat mich, sicherheitshalber auch noch die Schutzmacht Japan einzuschalten, und versprach dann, „nach Rücksprache mit Stockholm“ die Erklärung weiterzuleiten. Und die Moral von der Geschicht'? Mit Humanitas ist's Essig, ab sofort, und endlich befindet sich auch Gerd Schröder im Krieg; und wenn Miloevic tatsächlich das Fax erhält, ist's auch nicht schade drum!