Mein Gott, wo ist Walter?

Als Mann mit dem roten Schal hat er die erste rot-grüne Koalition vor dem Mauerfall angeführt. Als Hoffnungsträger haben ihn die SPD-Mitglieder zum Herausforderer von Eberhard Diepgen gekürt. Doch seitdem ist Walter Momper abgetaucht  ■ Von Barbara Junge

Wenn doch nur einer mit ihm reden wollte. Richtig fehl am Platz wirkt Walter Momper, als er durch die Menge auf dem sonnigen Berliner Alexanderplatz streift – auf der Suche nach dem Mann von der Straße, der mit ihm reden wollen würde. Der 1. Mai, das hätte sein Tag sein können: das Bad in der Menge, der Genosse von nebenan, der Spitzenpolitiker spricht mit dem Volk. Doch unbeachtet flaniert Walter Momper, der im Herbst für die SozialdemokratInnen in der Hauptstadt die Wahlen gewinnen will, am Tag der Arbeit durch die Kundgebungsreihen des DGB.

Die Umfragewerte für den SPD-Kandidaten zeigen mittlerweile in den Keller. Bekannt, ja das ist der Genosse mit dem roten Schal. Bundesweit und in Berlin. Aber beliebt ist er deshalb noch lange nicht. 40 Prozent der BerlinerInnen wünschen sich den Regierenden CDU-Bügermeister Eberhard Diepgen auch nach der Abgeordnetenhauswahl im Sessel des Regierungschefs. Gerade mal 34 Prozent können sich mit dem Gedanken anfreunden, nach dem rot-grünen Intermezzo von 1989/90 noch einmal Walter Momper zu sehen. Schlechte Chancen also für ein zweites Mal Rot-Grün unter dem Mann mit dem ehemals roten Schal.

Doch sowohl Momper als auch seine Parteifreunde geben sich merkwürdig gelassen. „Natürlich wäre ich gerne beliebt“, beantwortet Momper stets besorgte Nachfragen, „wer wollte das nicht?“ Schon 1989, erinnert sich Momper beschwichtigend, habe Konkurrent Diepgen bei stolzen 70 Prozent vorne gelegen. „Und dennoch haben wir die Wahl gewonnen.“

Seine GenossInnen im Berliner Landesvorstand schlagen ähnliche Töne an. „Von den Umfrageergebnissen sollten weder er noch die Partei sich beeindrucken lassen“, gibt Landesvize Hermann Borghorst zu Protokoll. „Er muß jetzt nur besonders hervorgehoben werden und zeigen, daß er Biß hat.“

Und die Parteilinke? Immerhin hatte sich Momper dort nicht gerade Freunde gemacht, als er in den vergangenen Wochen sich mehrfach für die Privatisierung des Berliner Tafelsilbers stark gemacht hatte. Doch die Linken wiegeln ebenfalls ab. Zumindest in der Öffentlichkeit. Walter, heißt es, wird's schon richten. Andreas Matthae etwa, einer der jungen Linken, meint: „Da halt ich's mit Momper: nicht beirren lassen.“

Alles nur Zweckoptimismus? Nicht unbedingt, meinen Experten. „Aufgrund der Wahlchance wäre es aus Sicht der SPD besser, keinen personenbezogenen Wahlkampf zu machen. Da würde für die SPD die Gefahr bestehen, daß Diepgens Sympathie sich auch in Stimmen umsetzt“, warnte der Chef des Berliner Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, bereits im Januar. Damals war Momper gerade erst bei einer Urwahl der SPD-Mitglieder als Spitzenkandidat gekürt worden. „Momper wäre gut beraten“, so Güllner damals, „wenn er sich etwas zurücknehmen würde.“ Denn Momper hafte an, „daß er als zu autoritär, als zu machthungrig gilt, zu sehr die Vergangenheit und zu wenig die Zukunft verkörpert“.

Da hat Walter Momper offenbar sehr genau zugehört.

In moderaten Tönen wirbt Momper seitdem für die Haushaltskonsolidierung. Ein Thema, daß noch nicht einmal die zuständigen ExpertInnen in Gefühlswallungen zu versetzen vermag. Anläßlich einer Universitätsaufwartung versprach er seiner Alma mater Aufmerksamkeit, aber auch nicht mehr. „Ich will hier nicht als guter Onkel auftreten.“ Und mit Vorliebe bezeichnet der Kandidat das, was er zu bieten hat als „Schwarzbrot“. Trocken eben.

Walter Momper ist nicht mehr der alte, da sind sich alle einig. Kein Lästern, keine Seitenhiebe, keine markigen Parolen mehr. Vom „König Momper“ aus den 80ern ist nicht mehr viel übriggeblieben. Von pointierten Positionen ist der brave Mann weiter entfernt denn je. Und was auch immer Momper verspricht, etwa die Rücknahme der Koalitionsbeschlüsse zur Einführung von Hilfssheriffs – man mag es ihm nicht so recht glauben.

Doch so hat Walter Momper schon den innerparteilichen Wahlkampf gegen seinen Konkurrenten, den drögen SPD-Fraktionschef Klaus Böger, gewonnen. Und auch im Januar verhießen die Umfragen: Böger ist zehnmal beliebter als Momper.

Gleichwohl betrachtet auch der potentielle Koalitionspartner sorgenvoll die schwache Vorstellung, die der Spitzengenosse bietet. „Wo ist der Schwung, wo ist die Verve? Bei Walter Momper fehlt die Leidenschaft. Man ist ja geneigt, ihm einen Trainer zu finanzieren“, stichelt die bündnisgrüne Spitzenkandidatin Renate Künast. Mit dem Thema Haushalt, da ist sie sich sicher, läßt sich in Berlin kein Wahlkampf gewinnen. „Und auch nicht mit der defensiven Politik gegenüber der CDU.“ Aber das sei schließlich auch ein Problem der SPD, nicht nur des Spitzenkandidaten. Doch jetzt gilt auch für die Grünen: „Mit ihm oder mit ihm nicht – das ist jetzt die Devise.“

Allein diese Gewißheit ist dem Landesvorstand der Berliner SPD indes zu wenig. Dort macht sich trotz aller gegenteiligen Beteuerungen allmählich Unruhe breit. „Viele haben einfach erwartet, daß er ein Zugpferd ist und mit ihm der Aufbruch kommt. Und der ist nicht gekommen. Jetzt sind einige dann doch erstaunt, daß das nicht geschieht“, berichtet ein Vorstandsmitglied. „Die Leute haben unterschätzt, daß er zwar bekannt, aber noch lange nicht beliebt ist.“ Die unerwartete Leichtigkeit des Sieges von 89 habe ihm damals viel von dem Charisma verschafft, das ihm angerechnet wurde. „Jetzt ist aber die Situation eine ganz andere und ungleich schwieriger. Eine Situation, in der er Mehrheiten erringen muß unter ungleich schwierigeren Bedingungen: ein eigenes Profil zu entwickeln als Partei der Großen Koalition, in Abgrenzung von der CDU und den Grünen. Das ist fast nicht zu machen. Dafür ist zu wenig Raum.“

Und dort wo der Raum offen wäre, wird auch von manchen Parteilinken kolportiert, ist Walter Momper der falsche Mann. Beim Thema Sozialpolitik etwa, in der Bildungsfrage und bei den Arbeitsplätzen. „Walter müßte in der Lage sein, ein paar Sachen zu vertreten, mit denen die Sozialdemokraten identifiziert werden.“

Fürs erste nun hat die Führungscrew beschlossen, dem Mann mehr Profil zu geben. Galt bisher die Führungscrew „Quadriga“ aus Momper, dem Parteivorsitzenden Peter Strieder, Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing und Klaus Böger als das Nonplusultra der Partei, soll das zukünftig Walter Momper heißen. Man wolle ihn etwas mehr herausstellen, hieß es aus dem Landesausschuß. Herausgekommen sind nun Plakate mit seinem Konterfei und dem Slogan „Zukunft Berlin“ sowie der beschwichtigenden Parole „Berlin bleibt doch Berlin“. Das ist nicht ganz falsch, aber ist es deshalb richtig? Genausogut könnte es heißen: Momper bleibt doch Momper. Doch so weit wollten sich die Genossen mit ihrem Spitzenkandidaten doch nicht nach vorne wagen.