Indien setzt auf Grüne Biorevolution

Die indische Gesellschaft ist zerstritten. Während Bauern Gentech-Felder zerstören, hofft ein Teil der indischen Wissenschaftler, mit der Gentechnologie endlich den Hunger zu besiegen  ■ Aus Bangalore Sven Hansen

„Hunger kann in Indien nur mit Biotechnologie beseitigt werden“, behauptet G. Padmanaban, emeritierter Professor am Indischen Institut für Wissenschaft in Bangalore und eine Koryphäe unter Indiens Biochemikern. „Ich kenne die Bedenken gegen Gentechnik in Europa. Indien kann aber nicht mit den wohlhabenden Gesellschaften Europas verglichen werden, die den Luxus der Wahl haben. Indiens Ackerflächen und Wasserressourcen sind begrenzt, während die Bevölkerung schnell wächst. Deshalb müssen wir uns vor allem die Pflanzen vornehmen, um die Nahrungsmittelproduktion steigern zu können.“

Nach Meinung des weißhaarigen Professors ist die Biotechnologie keine Lösung für alle Probleme, aber eine weitere wichtige Option. „Indiens Bauern werden dann auf gentechnisch verändertes Saatgut umsteigen, wenn es sich für sie rechnet, so wie viele Bauern im Rahmen der Grünen Revolution auf Hybridsaaten umgestiegen sind“, ist Padmanaban überzeugt. Mit Hilfe von Hochertragszüchtungen, die hohe Inputs an Dünger und Pestiziden benötigen und zu einer drastischen Reduzierung der Pflanzenvielfalt führten, stieg Indiens Getreideproduktion von 1967 bis 1997 von 74 Millionen auf 199 Millionen Tonnen. Diese 167prozentige Steigerung ging mit nur einem achtprozentigen Wachstum bei der Anbaufläche einher. Schon sehen manche Inder die Biotechnologie als zweite Grüne Revolution und als künftigen Boomsektor. Der Erfolg der Technologieparks im Softwarebereich soll jetzt bei der Biotechnologie wiederholt werden. Zur Zeit laufen erste begrenzte Feldversuche mit transgenen Pflanzen, die voraussichtlich in ein oder zwei Jahren kommerzialisiert werden. Entwickelt wurden bisher Gentech-Sorten für Baumwolle, Tomaten, Reis, Kartoffeln und Blumenkohl. „Die Regierung hat das große Potential der Biotechnologie erkannt“, meint der Herausgeber der Zeitschrift RIS Biotechnology and Development Review, V.R. Panchamukhi. Zwischen der noch regierenden Hindupartei BJP und der oppositionellen Kongreßpartei gebe es im Verhältnis zur Biotechnologie keine Unterschiede.

Der hindunationalistische Hardliner und noch amtierende Minister für menschliche Entwicklung, Wissenschaft und Technologie, Murli Manohar Joshi, wischt die Bedenken gegen die Gentechnik mit dem auch aus dem Westen bekannten Argument beiseite, Biotechnologie werde schließlich schon seit Tausenden von Jahren betrieben.

Padmanabans Institut, das zu 90 Prozent von Technologieimporten abhängig ist und nach den indischen Atomtests vor einem Jahr zwischenzeitlich Sanktionen der USA befürchten mußte, kooperiert seit einem Jahr mit dem US-Biotechnologiekonzern Monsanto. Der Gentech-Konzern hat sich vergangenes Jahr in den größten indischen Saatguthersteller Mahyco eingekauft und ist in Indien wegen Feldversuchen mit gentechnisch veränderter Baumwolle äußerst umstritten.

Im November stürmten aufgebrachte Bauern einige der Felder und verbrannten die Pflanzen. Die Kritiker befürchten, der Konzern könnte bei den rechtlich strittigen Tests auch die sogenannte Terminator-Technologie einsetzen. Bei dieser in den USA patentierten und in Indien offiziell nicht zugelassenen Technologie wurden die Pflanzen gentechnisch sterilisiert, so daß die Bauern gezwungen sind, jedes Jahr neues zu kaufen.

Die Terminator-Technologie lehnen auch viele indische Gentechnik-Befürworter strikt ab. „Gentechnik mit Terminator-Technologie gleichzusetzen ist ein Fehler“, sagt der Entomologe H. C. Sherma vom Internationalen Pflanzenforschungszentrum für die semiariden Tropen (Icrisat) in Hyderabad. „Wenn die Amerikaner die Biotechnologie nutzen, sollten wir das auch tun. Wir müssen aber vorsichtiger sein, weil wir eine größere Artenvielfalt haben und der potentielle Schaden größer ist.“

„Erstmals seit der Unabhängigkeit haben wir die Möglichkeit, nicht nur eine neue Technologie zu konsumieren, sondern auch zu einem der wichtigsten Produzenten zu werden,“ meint die in Heidelberg habilitierte Humangenetikerin Suman Sahai von der Organisation „Gene Campaign“ in Neu-Delhi. Denn neben außergewöhnlicher Biodiversität verfüge Indien auch über einen großen Stamm kompetenter Wissenschaftler, die vor allem in staatlichen Einrichtungen arbeiteten.

Sahai erhofft sich von der Biotechnologie Fortschritte beim Umweltschutz, was Gegner der Gentechnik wie Devinder Sharma vom „Forum for Biotechnology and Food Security“ bezweifeln. Trotzdem warnt auch Suman Sahai vor Risiken der neuen Technologie und fordert größere Vorsicht. Zwar seien in Indien ihrer Meinung nach inzwischen die meisten gesetzlichen Grundlagen geschaffen worden, aber bei der Umsetzung mangele es noch am nötigen Bewußtsein. Vor allem müsse Indien seine Biodiversität stärker schützen. Sahai kritisiert, daß die Regierung im Rahmen des Abkommen über geistiges Eigentum (TRIPs) der Welthandelsorganisation (WTO) das Patentgesetz geändert hat. Statt wie bisher Herstellungsprozesse werden künftig Produkte geschützt. Für eine Übergangszeit gelten sogar exklusive Vermarktungsrechte für bereits im Ausland patentierte Produkte.

Sahai und andere Kritiker bemängeln, daß das neue Patentgesetz nicht nur das preisgünstige Kopieren ausländischer Produkte verbietet, was Indiens Pharmasektor bisher das weltweit niedrigste Preisniveau beschert hat, sondern auch die Biopiraterie westlicher Konzerne schützt.

In der Vergangenheit hatte die Regierung die Patentierung von Naturprodukten abgelehnt, während ausländische Konzerne in ihren Heimatländern Bioprodukte patentieren lassen konnten, die indischen Ursprungs waren. So patentierte zum Beispiel die US-Firma W. R. Grace ein Insektizid aus einem Extrakt des indischen Neembaums, das von den Indern bereits seit Generationen angewendet wird. „Indien wurden Bioressourcen von mehreren Milliarden Dollar gestohlen“, empört sich Minister Joshi.

Nach Angaben der Wissenschaftlerin und Aktivistin Vandana Shiva, eine der vehementesten Kritikerinnen der Gentechnik in Indien, halten US-Firmen bereits 15 Patente auf Neem-Produkte und haben 65 weitere beantragt. Aus Rinde, Blättern und Samen des Neem-Baums werden biologische Schädlingsbekämpungsmittel, Dünger, Zahnpasta und medizinische Wirkstoffe gewonnen.

Für Aufsehen und Proteste sorgte auch die Patentierung des aus Indien und Pakistan stammenden Basmati-Reises durch die texanische Firma Rice Tec. Die Firma hatte eine mit dem indischen Original vergleichbare Reis-Variante patentieren lassen, um sie außerhalb Südasiens anzubauen, aber dennoch unter dem Namen Basmati zu verkaufen. Während Rice Tec behauptet, sein Basmati sei eine eigene zehnjährige Züchtung, ist die Patentierung für Inder ein eklatanter Fall von Biopiraterie. Weil westliche Gentechnikkonzerne mit Hilfe des Patentschutzes Profite machen wollen, setzte die US-Regierung im Rahmen der WTO die Patentierung von Lebewesen durch. Viele Inder kritisieren, das TRIPs-Abkommen schütze nur private, kommerzielle Rechte und nicht die von Gemeinschaften, ihr traditionelles Wissen oder die sozialen Funktionen ihrer Kulturpflanzen. So kann durch minimale gentechnische Veränderung eine traditionelle Pflanze plötzlich als Ganzes privat patentiert werden, was vorher in der ursprünglichen Form nicht möglich war.

„Statt industrielle Innovation vor geistigem Diebstahl durch Länder des Südens zu schützen, womit die Einführung handelsrelevanter Eigentumsrechte begründet wurde, schützt TRIPs den Diebstahl von Artenvielfalt und traditionellem, kollektivem Wissen durch Konzerne der Industriestaaten“, klagt Shiva. Indische Gentechnik-Befürworter und –Gegner teilen nicht nur zum Großteil die Kritik am TRIPs-Abkommen, sondern sind sich auch einig über die Notwendigkeit des Schutzes der heimischen Bioressourcen vor dem Zugriff ausländischer Konzerne.

Deshalb wurde auch ein Nationales Zentrum für DNA-Fingerabdrücke eingerichtet, das zum Schutz der genetischen Ressourcen entsprechende Analysen vornimmt und die Ergebnisse in einer Datenbank speichert. Auch sind Indiens Genbanken bei der Weitergabe von Genplasma restriktiver geworden. „Inzwischen müssen sich Empfänger schriftlich verpflichten, das Genmaterial nicht an Dritte weiterzugeben und es nicht zu patentieren“, so P. L. Gautam, Direktor des Nationalen Büros für pflanzliche Genressourcen in Neu-Delhi, der größten Genbank Indiens.

Während Indiens Gentechnik-Befürworter die heimischen Bioressourcen vor allem schützen wollen, um sie selbst auszubeuten, fordern Kritiker wie Shiva ein Gentechnik-Moratorium. Statt wie propagiert die Artenvielfalt zu schützen, führt die Technik für Shiva zu Uniformität in der Natur. Sei schon die Grüne Revolution ein Irrweg gewesen, müsse die Zukunft der biologischen und nachhaltigen Landwirtschaft gehören. Sharma vom „Forum for Biotechnology and Food Security“ kritisiert, daß die gesellschaftlichen Folgen ausgeblendet würden. Sollte sich die Agrarproduktion, wie von den Befürwortern erhofft, wirklich drastisch steigern lassen, könnten viele Bauern überflüssig werden. In Indien, wo drei Viertel der Bevölkerung Bauern sind, drohten dann schwere gesellschaftliche Verwerfungen.

„Wenn die Amerikaner die Biotechnologie nutzen, sollten wir das auch tun.“