„Hochmoderne Waffen sind das falsche Mittel“

■ Der US-amerikanische Politologe Gabriel Kolko über die Grenzen der Zerstörungstechnologie, Fehleinschätzungen der Nato im Kosovo-Konflikt und über die Lernfähigkeit von Militärstrategen

Gabriel Kolko, 67, war Professor in Buffalo (New York) und Toronto (Kanada). Er hat zahlreiche Bücher über die Kriege der USA geschrieben, darunter mit „Anatomy of a War“ das Standardwerk zum Vietnamkrieg. Kürzlich erschien die deutsche Ausgabe seines Buches „Century of War“ über die großen Kriege dieses Jahrhunderts.

taz: Haben die Nato-Politiker aus früheren Konflikten gelernt?

Gabriel Kolko: Leider nicht. Kein Krieg in diesem Jahrhundert verlief nach Plan. Wer einen Krieg beginnt, geht von günstigen Ergebnissen aus. Es wird rational geplant, aber bald schon spielen Faktoren eine Rolle, die ursprüngliche Annahmen über den Haufen werfen. Das war im Ersten und Zweiten Weltkrieg so. Als die USA in Korea intervenierten, gingen sie niemals von einem dreieinhalbjährigen Krieg aus. Auch der Vietnamkrieg verlief völlig unerwartet. Der Golfkrieg basierte auf Irrtümern. Erst wurde der Irak unterstützt, um ein Gegengewicht zum Iran zu schaffen. 1991 besiegte man zwar den Irak, aber wagte nie, Saddam Hussein zu stürzen, weil man eine Aufteilung des Irak befürchtete. Die US-Politik am Golf hat 20 Jahre Jahre lang versagt. Auf dem Balkan drohen Grenzverschiebungen. Sollte Miloevic besiegt werden, sind die Konsequenzen ein Dominoeffekt, der in Europas gefährlichster Region Instabilität erzeugt.

Sind „Mini-Interventionen“ der USA wie in Grenada, Panama, Haiti oder Somalia Modelle für den Kosovo-Einsatz?

In Haiti hat die US-Intervention die Situation nicht verändert, in Somalia mußten die US-Truppen wieder abziehen. Das waren trotz hohen Einsatzes keine erfolgreichen Interventionen. Die USA haben seit 1945 kaum Kriege gewonnen. Es ist bemerkenswert, daß der US-Generalstab die Verantwortung für die Entscheidung zu diesem Krieg ablehnt. Unter den Militärstrategen sind fähige Leute, aber sie sind nicht entscheidend. Ein CIA-Bericht zeigt, daß der Geheimdienst von 1962 bis 1969 vor allen wichtigen Entscheidungen warnte, die die Regierung während des Vietnamkrieges traf. Richtige Informationen bedeuten nicht, daß sie auch akzeptiert werden. Politiker glauben eher, was sie in ihren Ansichten bestärkt.

Welche Fehleinschätzungen gibt es im Kosovo-Konflikt?

Die Nato und die Clinton-Regierung haben zum Beispiel das jugoslawische Potential falsch eingeschätzt. Auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges hat die Region 40 Divisionen der Achsenmächte gebunden. Clinton und Albright ließen sich trotz der Warnungen des Generalstabs und der CIA auf diesen Krieg ein.

Wie kommt es zur Irrationalität der Entscheidungen?

Wer stark von einem Konflikt beansprucht wird, kann sich kaum um andere kümmern. Das war 1979 so während der Krise im Iran, als es noch eine weitere in Nicaragua gab. Es ist unmöglich, in der Außenpolitik so viele Faktoren gleichzeitig zu berücksichtigen. Der US-Präsident wird jeden Morgen fünf Minuten über die internationale Lage gebrieft. Das kann nicht funktionieren, denn er muß sich an diesem Tag noch um so viel anderes kümmern.

Kann moderne Technik den Krieg begrenzen?

Hochtechnologie kommt dann zum Tragen, wenn sie gegen konzentrierte Ziele angewendet wird. Dezentralisiert sich der Feind stark, nützen präzise Raketen nichts. Jugoslawiens Armee ist auf einen hochgradig dezentralisierten Krieg vorbereitet. Hochmoderne Waffen sind dagegen das falsche Mittel. Schon in Korea konnten die Amerikaner damit nicht siegen. Der Vietnamkrieg wurde verloren, weil die Technik nutzlos ist, wenn sie über das ganze Gebiet verteilt werden muß.

Worin liegt die neue Qualität dieses Krieges?

Der Balkan-Konflikt gleicht einem Puzzle, das auseinanderfällt, sobald man ein Teil herausnimmt. Die demographischen Verschiebungen von Kosovo-Albanern nach Makedonien und Albanien verändern die Machtbalance. Makedonier sind nicht gegen Migranten, aber gegen ethnische Verschiebungen, zumal die UÇK neben Albanien einen Teil Makedoniens und sogar einen kleinen Teil Griechenlands beansprucht. Die Frage geopolitischer Verschiebungen macht diesen Krieg langfristig gefährlicher als andere Konflikte, bei denen die USA intervenierten.

Ist die Opposition gegen den Krieg in den USA größer als in Europa und könnte dies den Krieg beenden?

In den USA ist der Widerstand auf verschiedenen Ebenen sicher größer als in Großbritannien, wahrscheinlich größer als in Frankreich und vielleicht größer als in Deutschland. Einige Kongreßabgeordnete klagen vor dem Obersten Gericht. Ist in sechs Monaten immer noch Krieg, werden die Republikaner die Wahlen im nächsten Jahr garantiert gewinnen, sofern sie gegen den Krieg sind. Schon 1972 leitete der Kongreß die Beendigung des Vietnamkriegs ein. Die US-Regierung hat kein unbegrenztes Mandat, um den Krieg bis zum Ende durchzuführen, wenn das den Einsatz von Bodentruppen bedeutet. Sollten die USA aussteigen, gäbe es Chaos bei den Westeuropäern. Das ganze System käme durcheinander. Wollen die USA allerdings ihre Führungsposition stärken, werden sie die Allianz nicht stark belasten wollen. Keiner der Feinde von Miloevic kann den Konflikt unbegrenzt fortführen. Darauf setzt er.

Welche Veränderungen stehen den am Krieg beteiligten Gesellschaften bevor?

Die demographischen Konsequenzen des Krieges werden in der gesamten Region sehr groß sein. Krieg ermöglicht Entwicklungen, die es in normalen Situationen nicht gibt, wie zum Beispiel der Erste Weltkrieg Bolschewismus und Faschismus beförderte. Die größte Veränderung durch den Zweiten Weltkrieg fand nicht in Europa statt, sondern in China. Niemand erwartete, daß eine fast statische Bauerngesellschaft sich so wandeln würde. Ohne Krieg hätten Chinas Kommunisten keine Chance zum Sieg gehabt. Interview: John Goetz/ Sven Hansen