Glücklich wie Bolle im Schrebergarten

■ Wir gommen aus Thüringen und gaufen immer gerne hier ein: Die Brotfabrik zeigt DDR-Dokumentarfilme des aus Detroit stammenden Germanisten und Filmemachers Bill Meyers

War es nicht so? Berliner Pilsner, Radeberger, Lübzer – die gestandenen Männer in der DDR hatten dickere Bäuche. Jedenfalls in den Filmen des Amerikaners Bill Meyers. Dort wölben sich Rundungen aller Größen unter Viskose, Polyester und Kunstleder aller Farben. Der sozialistische und werktätige Nickiträger als Mittel zum Feindbildabbau im Kalten Krieg? Das war Sinn der Sache. Neben Interviews mit den DDR-Intellektuellen Jürgen Kuczynski und Daniela Dahn dokumentierte der aus Detroit stammende Meyers den Alltag durchschnittlicher DDR-Bürger der achtziger Jahre: Einkauf in der „Markthalle“, Erholung im „Schrebergarten“, Arbeit im „Berufsberatungszentrum“.

In ihrer Machart unprätentiös, zeigen die Aufklärungsbänder ostdeutscher Vergangenheit von Meyers eine Welt, die man längst vergessen hatte oder wollte. Für den einen amüsant bis zum Unverständnis, für den anderen magengeschwürerregend. Born in the GDR. Na und? „Zurück kein Glück“, raten weise Omas immer. Diese Worte prägen sich ein. Auch wenn man zurück müßte in die DDR, würden die meisten vielleicht nicht mehr mitgehen.

Genosse, wer ist hier der letzte? An der Kasse in der „Markthalle“ drängeln sich Dauerwelle und Günter-Netzer-Frisur. „Das Warenangebot ist recht gut“, sagt ein untersetzter Mann im schönen Einheitsdesign, „wir gommen aus Thüringen und gaufen immer gerne hier ein.“

In der Markthalle am Alexanderplatz Ecke Karl-Liebknecht-Straße pilgern Berliner und Touristen aus der ganzen Republik durch übersichtlich geordnete Abteilungen. „Likör“, „Süßigkeiten“, „Haushaltwaren“ – jedes Regal hat sein eigenes Laster, von der Hallorenkugel bis zum Kirsch-Whisky. Der Interviewer mit sächsischem Dialekt und Sozialversicherungsbrillengestell fragt nach Zufriedenheit und Unzufriedenheit der einkaufenden Bürger, nach Inhalt und Preis der Besorgung. Da gibt es Wurst und Joghurt für die „schlanke Linie“, Bienenstich und Brot, alles zusammen für einen Spottpreis von 10 Mark. Die Leute, die in den blauweißen Neubau kommen, geben sich glücklich wie Bolle. Irgendwas stimmt aber nicht, irgendetwas ist falsch. „He, wir fahren aufs Land“, sang Nina Hagen einst über die Flucht aus der Großstadt ins Grüne. Für viele der DDR-Bürger hieß das „He, wir fahren in die Gartenkolonie“. Im „Schrebergarten“ treffen sich Laubenpieper auf 200 bis 300 Quadratmetern Land zur Erholung am Wochenende, zur Lektüre Alfred Wellms, zum Planschen im aufblasbaren Swimmingpool.

Der Vorsitzende des Schrebergartenverbandes sitzt gemütlich auf seiner kleinen Veranda, umgeben von Ehefrau und Leiterin des Handarbeitvereins. Als interpretiere er ein Gedicht, redet er hochkonzentriert über Möglichkeiten und Verpflichtungen als Besitzer eines Kleingartens. Beim nächsten Versprecher fängt er von vorn an. Als Laubenpieper hat man die Auflage, eine bestimmte Anzahl von Quadratmetern seines Grundstückes für den Anbau von Obst der Konsumgenossenschaft zur Verfügung zu stellen, erläutert der Kleingärtner, wie aus einem Paragraphen zitierend. Dafür sei aber die Pacht preiswert, betont er nachdrücklich glücklich. Die Fliegenklatschgardinen aus buntem Sprelacart beginnen zu klappern. Die Luft zittert. Irgendwas stimmt hier nicht.

Der Mann im „Berufsberatungszentrum“ ist das typische Beispiel eines sozialistischen Werdegangs: Vom Maurer an die Ingenieurhochschule delegiert, berät er Eltern und Jugendliche bei der Wahl ihres Berufes. Er wirbt für die Ausbildung zur Werkzeugmacherin und zeigt agitierend vergilbte Heftchen, in denen Mädchen mit russischen Kopftüchern die Arbeitsproduktivität steigern. Es ist die alte Funktionärswelt, die dieser Mann verkörpert, und er bedient sich ihrer mit platten, eintönigen Worten. Ganz nach der Devise: Für Frieden und Sozialismus – seid bereit! Gruß an die deutsch-amerikanische Freundschaft (die es niemals gab) sowie an alle Völkerfreundschaften, das sozialistische System unter der Führung der Partei der SED hat es möglich gemacht, daß ... Und so weiter und so fort.

Man versucht den Stein, der auf den Magen drückt, wegzurollen, doch Meyers Filme erzeugen den Sisyphoseffekt. In Zusammenarbeit mit der Liga für Völkerfreundschaft gedreht, wahrscheinlich kontrolliert von Partei- und Staatsapparat, sorgen diese Filme dafür, daß man noch weniger in die DDR zurück will.

Katja Hübner ‚/B‘ Am Sonntag (und am 30. 5.) ab 18 Uhr, Kino Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee