Nachrichten aus der alten Steinzeithöhle

■ Der Maler Harald Falkenhagen preßte seine frühen Prä-Ambient-Music-Werke nach 20 Jahren Abhängzeit auf eine herrliche, große, schwarze, fossile Schallplatte

Galeristin Katrin Rabus hält ihn für den besten Maler Bremens. In kleinen Reihen von Din-A-4-Blättern (mal sind es drei, mal sieben oder zehn) klärt Harald Falkenhagen seine Mitwelt in Wort und Bild über die tiefsten Geheimnisse der Schaffensprozesse auf. Einer dieser aufhängbaren Comics erzählt zum Beispiel, daß sein ehrenwerter Schöpfer gerade nicht so recht weiß, was er tun soll und deshalb einfach mal ein paar Striche malt. In gelb, weil alle anderen Farben ausgetrocknet sind – und allzu viel Umstände will man sich natürlich nicht machen, so, als Künstler – und wenn der Zufall Gelb will, dann soll er sein verdammtes Gelb haben – weil nämlich der Zufall immer der Stärkere ist und der freie Wille immer den Kürzeren zieht. Eine entzückende Kriegserklärung gegen den überkandidelten Kunstschwurbeldiskurs.

Ein Plädoyer für Zufall, Beliebigkeit und die Wonnen der Langeweile gibt es von Falkenhagen aber nicht nur in optischer, sondern auch in akustischer Form. Natürlich kann er nicht am Notenblatt Harmonien und Stimmen zusammenschustern, wie es sich für einen anständigen Komponisten gehört. Und ein Instrument hatte er bislang erst ein einziges Mal in der Hand. Das war auf einer Alm. Das Blöken einer Kuh schien ihm zwingend nach einer Kontrapunktion durch das Saxophon einer Bekannten zu verlangen. Aber was braucht die Welt Saxophone, wo es doch Milchtüten, Telefonfreizeichen und Kindergitarren von Woolworth gibt, welche mehr oder weniger freiwillig erquickliche (und oft quieckende) Töne absondern. So fanden sich in den Jahren 1979 bis 1983 drei Menschen zusammen (Falkenhagen, A.S. und Bine Linden), die in der radikalen Unprofessionalität eine kreative Kraft erkannten. Sie bastelten im Studio von A.S. aus ihren akustischen objects trouves wundersam leichte, surrealistische Musikstückchen.

In einer Art nostalgischem Schwächeanfall hat Falkenhagen kürzlich die alten Stücke zusammengekramt. Den Kontakt zum Label „Very good records“ knüpfte er witzigerweise bei „A-Musik“, jenem legendären Kölner Plattenladen, der sich gleichfalls für gesampelte Musik engagiert; allerdings einer die ganz und gar dem Computer entspringt statt archaisch O-Töne aus der Alltagswelt mit miesem Achtspurtonband zu mixen. Nach 20 Jahren Abhängzeit (mehr als jeder Whiskey zum Reifen braucht) gibt es jetzt die allererste Phonophobia-LP. Das alles ist zwischen Heiner Goebbels, Frieder Butzmann und Glenn Branca angesiedelt. Und wer einst auf all das Experimentelle bei Ralph Records (einschließlich der Residents) stand, ist hier goldrichtig.

Im Unterschied zur Avantgarde der E-Musik überschüttet diese LP den Hörer nicht mit einem undurchdringlichen Netz von Strukturen. Und die Geräusche haben bei aller Fremdartigkeit etwas Verführerisches. Eine sedierte Frauenstimme trällert zu etwas, das sich nach verzweifeltem Tiergebrüll anhört. Irgendwann scheint es in einer untermeerischen Tropfsteinhöhle relaxed vor sich hin zu tropfen – weil Tropfsteinhöhlen können ja nichts anderes als tropfen. Und dann will Wasser anfangen zu sprechen – Blub. Viele Rhythmen sind so beruhigend wie „Schäfchen zählen“. Vor allem, wenn sie hundertmal dauerschleifig wiederholt werden. Endlich etwas Meditatives voller Ironie statt Esokitsch.

In Falkenhagens Liedbeschreibungen sind Sätze wie folgt zu lesen: „Die Fernsehserie ,Waltons' mochte keiner von uns, lief aber gerade im TV als wir die Hintergrundgeräusche aufnahmen.“ „Der Liedtitel bezieht sich auf eine TV-Titelmelodie, die hier aber nicht zu hören ist.“ „Für dieses Stück brauchten wir etwa eine viertel Stunde.“

bk

„Phonophobie“ ist käuflich im Viertel-Laden „Überschall“ erwerbbar oder von Falkenhagens Webside zu klauen ( http://phonophobia.webmen.de )