Der „totale Mann“

Seit Theweleits „Männerphantasien“ gilt der faschistische Mann als verklemmter Akteur. Franziska Meier hat sich mit seiner Attraktivität beschäftigt  ■ Von Karin Wieland

Der faschistische Kollaborateur ist nichts anderes als ein falscher Mann. Dieser Hohepriester harter Tugenden und männlicher Potenz arbeitet mit den Waffen der Schwachen. Wie die Frauen setzt er seinen Charme, die Intrige und die Verführung ein, um dem fremden Machthaber zu schmeicheln. Sein Verhältnis zu ihm ist durch eine Mischung aus Masochismus und Homosexualität gekennzeichnet. Im Namen der Männlichkeit zerstört er seine eigene Männlichkeit, die Kollaboration verweiblicht ihn und ist ein homosexueller Akt. Die Bereitschaft zum Verrat ist in ihm angelegt und bricht aus, wenn die Gelegenheit sich bietet. Dieses unsittliche Wesen haust im Schoß der Demokratie und es wird den Kampf gegen die Hüter männlicher Tugenden verlieren. Harte Maßnahmen werden in Zukunft dafür sorgen, daß der weibische Zug der Demokratie unterdrückt und damit das Aufkommen der Faschisten unmöglich wird.

Dies schrieb Jean-Paul Sartre im August 1945. Den Kampf gegen die Faschisten hatten die wahren Männer gewonnen. Die wahren Männer das waren die Stalinisten, die sich im Namen des Antifaschismus als Akteure der Zukunft empfahlen. Eine der Hauptfiguren der Kollaboration, die Sartre in seinem Text charakterisieren wollte, war Pierre Drieu la Rochelle. Er hatte sich 1934 öffentlich zum Faschismus bekannt und sich im März 1945 das Leben genommen. Drieu war ein typischer Vertreter der Zwischenkriegsliteraten. In seinen Pamphleten der 20er Jahre träumte er von einer Synthese des Kapitalismus mit dem Kommunismus, und in seinen Romanen thematisierte er das Scheitern des Mannes an der modernen Welt. Drieu litt unter dem Verlust der klaren Oppositionen, die das 19. Jahrhundert ausgemacht hatten. Er fühlte sich in das Chaos geworfen: Das Alte war noch nicht endgültig zerbrochen und das Neue noch nicht hergestellt. Seine literarischen Arbeiten bieten Einblick in eine von der Emanzipation und dem Krieg erschütterten Gesellschaft, in der sich keiner mehr seiner Rolle gewiß ist. Am wenigsten der Autor selbst. Während Sartre selbstgewiß seine Männlichkeit mit dem Sieg Stalins koppelt, war der Faschist Drieu la Rochelle auf der Suche nach dem Anderen gewesen, das seine unvollständige Geschlechtlichkeit ergänzen sollte.

Drieu la Rochelle ist einer von vier rechtsrevolutionären Literaten, die der Historikerin Franziska Meier als Beispiele dafür dienen, daß sozialpsychologische Erklärungen des Faschismus einer erneuten Lesart nicht standhalten. Meier bescheinigt den von ihr Analysierten einen diagnostisch scharfen Blick auf ihre Zeit. Im Gegensatz zu ihren linksradikalen Kollegen wagten sie es, ihre Zweifel zu thematisieren und waren sich der Krise der Moderne bewußt, mit der sie am eigenen Leib experimentierten. Dies gilt nicht zuletzt für ihr Verhältnis zum anderen und zum eigenen Geschlecht. Meier richtet ihren Fokus auf die Verunsicherung des Mannes durch die emanzipierte Frau. Das gewandelte Geschlechterverhältnis setzt sie mit der Moderne gleich. Ihr Befund macht Staunen, gilt doch spätestens seit Theweleits „Männerphantasien“, daß der Faschist verklemmt ist und Angst hat vor dem Begehren der Frauen.

Franziska Meier zeigt sich beeindruckt, „mit welcher Offenheit die Autoren die Auseinandersetzungen innerlich ausfochten, mit welcher Feinfühligkeit sie das Geschehende abtasteten und wie schonungslos sie es in den Konsequenzen zu Ende dachten“. Den Linksradikalen dagegen kann sie diese Sensibilität nicht bescheinigen. Sie erweisen sich auch in ihren erotischen Wünschen als parteipolitisch fixiert und projizieren die Befreiung der Geschlechter in eine ferne, konstruiert wirkende Zukunft. Franziska Meier macht den provozierenden Vorschlag, die Werke von Pierre Drieu la Rochelle, Ernst Jünger, Curzio Malaparte und Louis-Ferdinand Céline als Quelle zu benutzen, um den Mentalitätenwandel zu Beginn des Jahrhunderts zu untersuchen.

Was diese Autoren eint, ist ihre Generationszugehörigkeit und das Engagement für eine bestimmte politische Richtung. Drieu, Jünger, Malaparte und Céline sind Angehörige einer Generation, der mit Gottfried Benn gesprochen „alles fraglich wurde“. Sie waren am Ende des langen 19. Jahrhunderts geboren und fanden sich ausgesetzt in eine Zeit der Auflösung, die den Beginn des neuen Jahrhunderts markierte. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich der Künstler in der Rolle des Willensschwachen und Nervösen gefallen. Die fin-de-siècle-Literatur kennt die Lust an der Unterdrückung durch die dominante Frau, es galt als Privileg des Künstlers, empfindsam zu sein. Nach dem Krieg waren die Definitionen, was ein Mann und was eine Frau sei, vage geworden. Für die politische und soziale Emanzipation waren die Suffragetten aus dem vergangenen Jahrhundert zuständig, die „neue Frau“ der 20er Jahre dagegen findet sich vor allem in der Mode und im Lebensstil wieder. 1929 hat Robert Musil festgestellt, daß die Frau es müde geworden sei, das Ideal des Mannes zu sein, der zu ihrer Idealisierung nicht mehr die rechte Kraft hat. Sie hat es selbst übernommen, sich ihr eigenes Wunschbild auszudenken. Die Kriegsteilnehmer treffen zu Hause auf Frauen, die bubenhaft mager, sportlich spröd und sexuell aktiv sind. Ernst Jünger bezeichnete die Nüchternheit und Enterotisierung als Signum des Zeitenwechsels. Schon rein äußerlich werden sich die Menschen ähnlicher. Die Starrheit in ihren Gesichtszügen macht sie zu austauschbaren Maskenträgern, wobei diese bei den Männern einen „metallischen, bei Frauen einen kosmetischen Eindruck“ erweckten. Immer mehr Menschen kleiden sich in eine anonyme Arbeitstracht und die Frauen pressen sich den Busen platt. „Hygiene, flache Sonnenkulte, Sport, Körperkultur“ treiben Erotik und Natürlichkeit aus. Die Liebe ist diesen Wesen fremd, sie vollziehen den Beischlaf mechanisch und bleiben steril. Jünger spekuliert über die Entdeckung eines dritten Geschlechts, welches das Ergebnis des technischen und kulturellen Wandels sei. Meier wendet sich dagegen, diese Passagen Jüngers zur Geschlechterproblematik als typische Wunschvorstellung eines Faschisten über eine nicht mehr bedrohliche Frau zu lesen. Sie sieht den „konservativen Revolutionär“ Jünger als einen hellsichtigen Beobachter, der das Schwinden der Polarität der Geschlechter registrierte, dem das Zurückdrehen dieser Evolution jedoch fremd gewesen ist.

Der Krieg erwies sich jedoch nicht nur als ein Beschleuniger der Emanzipation der Frau, er demokratisierte die Nerven des Mannes. Der gemeine Mann erwies sich als hysteriefähig – Kriegszittern, shell-shock und Neurosen waren Krankheiten, die in allen Klassen zu finden waren. Der 1893 geborene Drieu wurde in den Krieg geschickt, als man über patriotische Gefühle bereits Witze riß. Er hatte eine Abenteurerseele und es bisher doch nur bis zum Kaffeehausdandy gebracht. Der Krieg befreite ihn aus dieser verlogen ambivalenten Situation. Der Krieg versöhnt den Traum mit der Tat. Ein Leben lang wird er sich an den Krieg erinnern, wie man sich an seine erste Liebe erinnert. Der Krieg galt ihm als eine Zeit, in der er Frieden mit sich und seiner Männlichkeit geschlossen hatte. Die Banalität des Friedens stößt ihn ab, seine Generation muß den Frieden improvisieren, so wie die anderen zuvor den Krieg improvisiert haben. Drieu fühlt sich der Kriegskameradschaft verpflichtet, die nicht fragt, woher man kommt. Er will das Angedenken der Toten wahren und sieht es durch den Frieden beschädigt. Der Künstler ist als unvollständiger Mann aus dem Krieg zurückgekehrt: Der homme de rêve (Mann des Traums) versucht verzweifelt ein homme d'aktion (Mann der Tat) zu sein. Seine Potenz reicht weder für die Kunst noch für die Frauen. Die Frau steht bei Drieu für das aktive Prinzip. Sie ist nicht länger auf den Mann angewiesen, denn „die Lust hat Substitute gefunden, die die sexuelle Präsenz des Mannes nichtssagend machen“. Der klassische Don Juan liebte das Ewigweibliche und der moderne Mann verliert sich in monotonen Abenteuern, die ihm lediglich die Sterilität der Verhältnisse bestätigen. In dieser Situation sucht Drieu bei der Politik Zuflucht. Sich selbst charakterisierte er einmal zutreffend als „le réactionnaire et le révolutionnaire que je suis“. Er träumte von der Zeugung eines politischen Geschöpfs, in dem die Gegensätze von links und rechts zu einer starken Kraft verschmolzen waren. Drieu wurde Faschist.

Die Ursache dafür in einer psychischen Disposition zu suchen, wird nach Meier weder den totalitären Regimen noch den Künstlern gerecht. Durch die sozialpsychologische Erklärung wird verkannt, welch verführerische Alternative der Faschismus zum Kommunismus und zur Demokratie darstellte. Theweleits einfache Erklärungsmuster reichen nach Meier nicht aus, um die komplexe Situation zu erfassen. Zwanzig Jahre nach ihrem Erscheinen wird deutlich, wie sehr die „Männerphantasien“ zum Denken der 70er Jahre gehören. Die Lehre vom männlichen Ich und seinem Panzer sagt vielleicht mehr über den „Deutschen Herbst“ als über die faschistischen Strömungen der Zwischenkriegszeit.

Mit guten Gründen greift Meier daher zur denkgeschichtlich präziseren Faschismusinterpretation des israelischen Historikers Zeev Sternhell (z. B. The Birth of Fascist Ideology. From Cultural Rebellion to Political Revolution. Princeton 1994). Sternhell grenzt klar den Faschismus vom biologisch determinierten Nationalsozialismus ab. Er hebt hervor, daß der revolutionäre Anspruch des Faschismus dem des Marxismus ebenbürtig war. Kommunisten und Faschisten wollten gleichermaßen radikal mit dem Bestehenden brechen und suchten einen Neubeginn jenseits der Geschichte.Bevor der Faschismus politisch wurde, war ein kulturelles Phänomen. Mussolini, nach Sternhell ein ausgezeichneter Taktiker, arbeitete mit der künstlerischen Avantgarde, den Futuristen, zusammen und verwandelte mit deren Hilfe das kulturelle Phänomen des Faschismus in die Politik des Faschismus. Auch die von Meier analysierten Literaten betrachteten den Faschismus als eine kreative und zerstörerische Kraft, die das Alte beseitigen und das Neue hervorbringen wird. Dabei war ihre Hoffnung auf Erneuerung der Politik mit der Hoffnung auf Erneuerung der Körper verbunden. Der Körper spielt in ihrem Denken eine sowohl ästhetische als auch politische Rolle, er ist materiell und spirituell besetzt. Der „totale Mann“, der Faschist, der sie sein wollten, war Denker, Krieger, Künstler und Athlet in einem. Sein ihn ergänzendes Double war die starke Frau, die seinen Geist und seinen Körper gleichermaßen inspirierte. Drieu la Rochelle mußte in einer seiner letzten Tagebucheintragungen feststellen, daß es ihm nicht gelungen war, seinem männlichen Wunschbild zu entsprechen. Auch der Faschismus machte den Künster nicht zum „totalen Mann“. Er blieb ein homme de rêve und träumte nur davon, ein homme d'action zu sein.

Franziska Meier hat ein provozierendes Buch vorgelegt, das vor allem den linken Leser zwingt, eingefahrene Denkweisen und selbstgerechte Gewißheiten neu zu überdenken. Sie bringt durch ihren Befund den Glauben an den durch linke Politik befreiten Sex und Körper durcheinander. Nach ihrer Lesart gehört der Faschismus zu den ästhetisch-politischen Phantasien des 20. Jahrhunderts, die ihren Reiz vor allem auf die Literaten ausübten. Die widersprüchliche Einheit von Krieg und Traum gehört seit dem Ersten Weltkrieg vielleicht zum kulturellen Inventar dieses zu Ende gehenden Jahrhunderts.

Franziska Meier: Emanzipation als Herausforderung – Rechtsrevolutionäre Schriftsteller zwischen Bisexualität und Androgynie. Böhlau, Wien 1999. 412 Seiten, 98 DM