Kulturkampf mit Müllhaufen

Ein Vernichtungsfeldzug gegen die DDR-Kunst oder doch bloß Dilettantismus? Eine Podiumsdiskussion zur umstrittenen Ausstellung in Weimar  ■ Von Fritz
von Klinggräff

„Hängenlassen!“ steht im Gästebuch der Weimarer Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“: „HÄNGENLASSEN!!!“ Doch selbst diese Minimalforderung blieb am vergangenen Mittwoch abend beim ersten öffentlichen Streitgespräch zum skandalträchtigen dritten Teil der Ausstellung, „Die Kunst der DDR“, ziemlich strittig: Nach drei Stunden schweißtriefender Diskussion im einstigen Weimarer Gauforum hatten sieben Podiumsgäste lauter letzte Worte ins buhende Publium gesprochen. Von einer Annäherung der Positionen keine Spur.

Seit drei Wochen tobt nun der Feuilletonkrieg um die Präsentation von Tafelbildern aus den Staatsdepots der DDR, und Weimar erhält endlich, zur Jahresmitte, jene Aufmerksamkeit, die es als diesjährige Kulturstadt Europas so dringend nötig hat. Doch die Freude darüber hält sich in Grenzen – Medienspektakel hin, Kuratoren-freiheiten her, fand zumindest Thüringens Kultusminister Gerd Schuchardt, etwas overdressed auf dem Podium, so viel Skandal muß nun auch wieder nicht sein. Neun gerichtsanhängige Künstlerklagen haben die Kunstsammlungen zu Weimar mit ihrem Kurator Achim Preiß inzwischen am Hals; in Anwesenheit einer begeisterten Königin Beatrix kam es am vergangenen Wochenende zum ersten Abhängungs-Happening durch den Künstler Ralf Kerbach; und zwischen München und Frankfurt kämpft inzwischen eine losgelassene Feuilleton-Maschinerie fürs untergehende DDR-Kunst-Land.

500 Bilder seien „in einer Rotunde zusammengepfercht und in einer Wegwerfgeste auf die Müllhalde der Geschichte befördert“ worden, so lautete kurz nach Eröffnung die Ausstellungskritik des FAZ-Kritikers Eduard Beaucamp. Für diese „Müll“-Metapher als einer hinreichenden Beschreibung des Weimarer Ausstellungsambientes reklamierte am Mittwoch abend der Künstler-Anwalt Winfried Bullinger, der anstelle seiner geladenen Klientel auf dem Podium saß, eitel das Urheberrecht. Zudem hatte sich Beaucamp etwas verzählt, zeigt das gewaltige DDR-Panorama unter der fröhlichen Ägide eines riesigen Blumenstraußes (Günther Brendel, 1972) auf 3.000 Quadratmetern Fläche doch statt der vermeintlich 500 gerade mal 150 Bilder. Und die gesamte Ausstellung ist auch alles andere als jene Schwarzweiß-Waschmaschine, die der Berliner Kritiker Eckhart Gillen zu sehen vermeint, sondern gerade in ihrem weißgetünchten Gang mit den Oppositionellen Penck, Altenbourg oder Sascha Anderson (sic!) von ironischer Janusköpfigkeit – aber egal: Die FAZ hatte getrommelt, Berlins Akademie der Künste, Anwältin der alten Ost-Künstler, hörte die Signale. „Ein Vernichtungs-Feldzug“ sei diese Weimarer Ausstellung, so pressetextete die Akademie in Person ihres stellvertretenden Präsidenten Matthias Flügge subito: „Ein pauschaler Angriff auf jenen Teil der deutschen Nachkriegskunst, der sich auf die gegenständliche und figürliche Kunst der Moderne berief.“

Soviel Kulturkampf wollte sich Flügge am Mittwoch abend im irre ostigen Kulturcafé zu Füßen der Ausstellung dann nicht mehr leisten. „Diese Ausstellung“, befand der Kurator einer für Herbst angekündigten Alternativausstellung zur DDR-Kunst moderat, „diese Ausstellung gibt einfach die nötigen Fragestellungen nicht her“: Was, beispielsweise, unterscheide eigentlich inoffizielle von offizieller Kunst, wie produziert man Kunst unter hermetischen Produktionsbedingungen, wie konformistisch hat sich der Westen eigentlich zu seinem „staatlich geförderten Abstraktionismus“ verhalten? Lauter gewichtige historische Fragen – die Antwort dieser Ausstellung aber sei nur „ein Bilderbrei auf Ekelmaterial“.

Kein Grund zum Streiten, findet Kurator Achim Preiß, Architekturhistoriker an der Weimarer Bauhaus-Uni. Vom studentischen Publikum mit Küßchen und aufmunterndem Beifall begrüßt, wurde die Diskussion am Mittwoch für den Wuppertal-Import nicht gerade ein Auswärtsspiel; dennoch hielt er sich sehr fein und etwas beleidigt in der Verteidigungsposition: Eine repräsentative Ausstellung der DDR-Kunst sei nie das Ziel gewesen. Man habe doch nur einfach mal exemplarisch ein paar von den 16.000 Werken zeigen wollen, die in den DDR-Depots vermodern – sozusagen als eine Werkstatt-Frage ans Publikum: Brauchen wir diese Bilder wirklich?

Außerdem, so trotzig der Professor, außerdem sei die Ausstellung ein rein „ostdeutsches Produkt“. „Ostdeutsche Sammlungsleiter“ der Depots in Beeskow, Berlin oder Saalfeld hätten die Bilder ausgesucht, gehängt worden seien sie von seinen 16 jungen Mitarbeitern – Weimarer Studenten und Berufsanfänger: „Wenn diese jungen Leute das Verlangen gehabt hätten, diese Kunst zu auratisieren, hätte ich das auch gemacht.“ Das höhnische Publikumsgelächter über so viel Opportunismus verstummte schlagartig, als mit hochrotem Kopf Eva Schüler sich als eine der „jungen Mitarbeiter“ zu Wort meldete und mit bebender Stimme ins Mikrophon zischte, wie „scheißegal“ es ihr sei, ob der Preiß nun Westler oder Ostler sei; ja, wie „scheißegal“ ihr diese veralteten Ost-West-Kategorien „überhaupt sind“. Sprach's und verschwand hinter ihren Freunden am Podiumsrand.

Die graue Rotunde, so zur Erklärung Achim Preiß, sei nämlich die Diplomarbeit der jungen Ausstellungsarchitektin gewesen – und im schweigenden Publikum ahnte man, daß dieser Ost-West-Konflikt hier im tiefen Thüringen wohl weniger auf einer „gezielten Infamie der Veranstalter“ (SZ) beruht, denn auf einem simplen Konflikt zwischen Kuratoren-Generationen. Tom Schneider aus dem Kreise der „16“ zumindest konnte am Mittwoch im Grau seiner Rotunde statt der „Müllberge“ eigentlich nur eine Ästhetik der Zurückhaltung erkennen.

Verstört von soviel Unverstand sehnte Eva Schüler denn auch nur noch die sofortige Schließung der Ausstellung herbei. Eckhart Gillen, der sich auf dem Podium vor allem als Fetischist weißer Wände outete, stimmte ihr da ausnahmsweise zu. Doch wird wohl trotzdem nichts daraus. Denn Rolf Bothe, Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar und damit letztverantwortlich fürs Desaster, will die Sache lieber aussitzen: „Ab dem 14. Juni werden wir die Ausstellung langsam verändern.“ Die Beschriftung werde erneuert, die enge Hängung werde aufgelöst; ja, und im Januar 2000 will Bothe dann noch einen zweiten Versuch mit der DDR-Kunst machen – diesmal aber richtig schön repräsentativ.

Bis 9. 11., Kunstsammlungen zu Weimar. Der Katalog ist im Verlag Hatje Cantz erschienen und kostet 49 DM

Neun gerichtsanhängige Künstlerklagen haben die Kunstsammlungen zu Weimar inzwischen am Hals