Käfer frißt sich am Ferrari satt

Mit dem Sieg nach Elfmeterschießen im DFB-Pokalfinale gegen Bayern München rettet Werder Bremen endgültig eine bis kurzem katastrophale Saison  ■ Aus
Berlin Matti Lieske

So in Ordnung, wie am Samstag abend war die Welt bei Werder Bremen schon sehr, sehr lange nicht mehr. Manager Willi Lemke zögerte jedenfalls keine Hundertstelsekunde, als er gefragt wurde, wie er den Sieg im 56. DFB-Pokalfinale gegen Bayern München nach einem dramaturgisch höheren Ansprüchen genügenden Elfmeterschießen einordne. „Es war der schönste“, hob er ihn über die Cupgewinne von 1991 und 1994 hinaus, denn er sei „im direkten Vergleich mit den Bayern“ errungen worden. Angesichts der Misere der letzten Jahre kann man es den Bremern kaum verdenken, daß sie immer noch in alten Otto-Zeiten schwelgen, Kutzop-Elfmetern nachtrauern und eine Rivalität mit den Münchnern ausleben, welche diese längst hinter sich gelassen haben.

Der Deutsche Meister 1999 spielt inzwischen in einer anderen Liga, und das nicht nur bezogen auf die Champions League. Werder Bremen ist für die Bayern bestenfalls eine Mannschaft wie jede andere, und keine besonders gute dazu. Spieler wie die verletzten Elber und Lizarazu seien eben schwer zu ersetzen, grantelte Manager Uli Hoeneß angesichts der Niederlage, die für ihn glatter Majestätsbeleidigung gleichkam, und ließ es sich nicht nehmen, seine bewährte Giftspritze auszupakken: „In solchen Momenten, wo man einen unterlegenen Gegner abschießen könnte, fehlen sie.“

Eine etwas idealisierte Interpretation der Geschehnisse im ausverkauften Berliner Olympiastadion, denn so unterlegen wie erwartet präsentierten sich die Bremer nicht. „Wenn man unsere Spiele gesehen hat, war das schon gut, was wir hier gemacht haben“, lobte Trainer Thomas Schaaf sein Team, wobei er wohl in erster Linie an die Spiele dachte, die Werder geliefert hatte, als Felix Magath noch Trainer war und er bloß Assistent. Seit Schaaf mitten im Abstiegskampf die Chefrolle übernommen hat, scheint jedoch so etwas wie der berühmte Funke in die Mannschaft gehüpft zu sein, und er hat ein Feuer entfacht, das nicht nur den Klassenerhalt brachte, sondern auch die Bayern in der ersten Halbzeit überraschte.

„Wir sind die Wege gegangen, auch wenn es nicht leicht gefallen ist“, drückt Thomas Schaaf in seiner sachlichen Art das aus, was sich auf dem Platz als Zweikampfstärke und veritables Kick'n Rush manifestierte. Lange Bälle hinter die Abwehrkette der Bayern und alle hinterher, hieß die Devise, die bereits in der 3. Minute das 1:0 durch Maximow brachte. „Barcelona revisited“, mag mancher gedacht haben, doch die Bayern mochten nicht auf die letzte Minute hoffen. Sie spielten geraume Zeit hart an der Schaum-vor-dem-Mund-Grenze und waren sichtlich genervt über die unbotmäßige Gegenwehr eines Liga-Underdogs. „Vorher ging es ja nur darum, ob sie uns 4:0 oder 5:0 schlagen“, sagte Lemke, „auf diese Haltung haben wir gehofft“. Erst als es Linke gelang, Werders Regisseur Andreas Herzog aus dem Spiel zu foulen, war der Elan der Bremer gebrochen, Bayern nahm die Partie in die Hand, und Janckers Ausgleich war nur folgerichtig.

Werder spielte nun wie Werder, aber Bayern nicht wie Bayern. Der Passivität der Bremer hatten die Münchner nicht eine Spur Kreativität entgegenzusetzen. Ihr bester Mann war Lothar Matthäus mit seinen etwas wilden Vorstößen und Schüssen, die eher wie ein Aufschrei gegen den Fluch des Alterns denn als durchdachtes Fußballspiel wirkten. Auffälligster Spieler bei den Bremern war dagegen der unauffällige Dieter Eilts, der langsam zusammenfügte, was durch Herzogs Abgang zu Bruch gegangen war und gemeinsam mit dem wadenkrampfenden, aber nimmermüden Marco Bode die Bremer bis zum Ende der Verlängerung im Spiel hielt. Der Zufall hätte das Match für die eine oder andere Seite entscheiden können, verdient hatte sich den Sieg jedoch keiner.

Quintessenz der Partie war für Willi Lemke, der realistisch genug war, von einem Duell „Käfer gegen Ferrari“ zu sprechen, dann der Elfmeter von Stefan Effenberg. „Das war 'ne heiße Nummer“, freute sich der Manager später diebisch. Auf „diese Lässigkeit, mit der Effe anlief“, habe man bei den notorisch arroganten Bayern gehofft. „Zum Glück hat er dann diese schreckliche Rücklage bekommen.“ Der Elfer ging drüber, Rost hielt den von Matthäus, und schon hatte sich eine katastrophale Saison in eitel Wohlgefallen aufgelöst.

Statt Zweitliga-Tristesse mit Uefa-Cup-Gnadenbrot als Pokalfinalverlierer zu erleben – noch vor kurzem ein sehr realistisches Szenario – darf Werder Bremen die neue Saison in Bundesliga und Europapokal als stolzer Cupsieger in Angriff nehmen. Eine solche Kur heilt auch interne Wunden, und man darf nun davon ausgehen, daß der Trainer weiterhin Thomas Schaaf heißen wird, die Mitgliederversammlung am 30. Juni das zurückgetretene Präsidium mit Glanz und Gloria wiederwählt und als Manager auch fürderhin Willi Lemke fungiert. In Berlin sprach er von einem Vierjahresvertrag, über den er verhandeln wolle, obwohl er ja immer davon geträumt habe, „den Verein zu verlassen, wenn wir ganz oben sind“. Davon kann trotz aller Euphorie über den Pokaltriumph nun wirklich keine Rede sein, aber eines ist Willi Lemke und seinen Werderanern nicht zu nehmen: „Die Bayern zu ärgern, das Double zu verhindern, à la bonheur, das ist gut runtergegangen.“

Bayern München: Kahn – Matthäus – Linke, Kuffour (37. Daei) – Babbel, Jeremies (57. Fink), Effenberg, Tarnat – Basler, Jancker, Scholl (84. Salihamidzic) Werder Bremen: Rost – Trares – Wicky, Todt, Wiedener – Dabrowski (69. Bogdanovic), Maximow, Eilts – Herzog (45. Wojtala) – Frings, Bode Zuschauer: 75.841; Tore: 0:1 Maximow (3.), 1:1 Jancker (45.) Elfmeterschießen: 0:1 Bode, 1:1 Salihamidzic, Todt gehalten, 2:1 Daei, 2:2 Bogdanovic, 3:2 Tarnat, 3:3 Wicky, 4:3 Jankker, 4:4 Eilts, Effenberg verschossen, 4:5 Rost, Matthäus gehalten Gelb-Rote Karte: Basler (114.) wegen wiederholten Foulspiels