■ Zum Festival Theater der Welt in Berlin

Als Skizze auf Milchtüten, überlebensgroß abgebildet auf Plakaten oder gar in Echtzeit auf der Straße: Seit einiger Zeit ist Berlin voll maritimer Signale. Seeleute mit Flaggen tauchen auf, winken ein, winken aus, bilden im Winkalphabet womöglich ganze Sätze, und keiner kann sie hindern.

Potentiell subversiv und interkulturell – als emblematische Begleitshow des Festivals Theater der Welt in Berlin sind die „Signalgeber“ sicher sehr gut gewählt. Wobei die von den Berliner Theatermachern Frank Düwel und Manfred Scharfenstein geleitete Darstellergruppe nicht nur seit Ende Mai auf das Festival hinweist, sondern es am 18. Juni auch eröffnen und am 4. Juli beschließen wird.

Theater der Welt in Berlin – anders als in Dresden vor drei Jahren, wird es das vom Internationalen Theaterinstitut veranstaltete Festival in der Hauptstadt nicht leichthaben, ins Bewußtsein der Bewohner vorzudringen. Aber das Problem der potentiellen Übersättigung mit eigenem und gastierendem Theater war nicht die einzige Standortfrage, die sich Nele Hertling und Maria Magdalena Schwaegermann vom Hebbel Theater sowie Thomas Langhoff vom Deutschen Theater bei der Programmgestaltung beantworten mußten. Schließlich wollten sie ein Festival, das sich auch zur Ost/West-Geschichte der Stadt verhält.

Herausgekommen ist ein Programm, das in 70 Tagen 105 Einzelvorstellungen vorsieht, zuzüglich zweier täglich mehrfach aufführender Straßentheater. Theater aus Argentinien, Australien, Brasilien, Bulgarien, von der Elfenbeinküste, aus Estland, Frankreich, Indien, Israel, Italien, Kolumbien, Kuba, Rumänien, Polen, Spanien, der Türkei, den USA. Außerdem eine asiatische Gemeinschaftsproduktion und natürlich Theater aus Deutschland.

Aus Deutschland, genauer: aus Berlin kommen der Gesamtkunstwerker Joachim Damm, kommt die Volksbühne mit einer Retrospektive der letzten sieben Jahre, kommen die Gruppe Ramba Zamba, die Theater mit Behinderten macht, und „Tegel Alexanderplatz“ von Roland Brus, Hans-Joachim Neubauer und Holger Syrbe: Theater mit Gefangenen. Speziell die letzten beiden Projekte passen für Hertling und Schwaegermann idealtypisch ins Programm, weil Theater hier vor dem Hintergrund einer spezifischen kulturellen Erfahrung stattfindet.

Insgesamt stellten Hertling und Schwaegermann auf ihren Reisen (Langhoff hatte vor allem eine beratende Funktion) fest, daß die jüngere Generation in aller Welt angefangen hat, Theater als Podium zu benutzen, um mit dem Publikum über die eigene Situation zu kommunizieren. Ob das Ranters Theatre aus Australien, Alexandru Dabija aus Rumänien oder Ymako Teatri von der Elfenbeinküste – 90 Prozent aller Gruppen benutzen- oft unter Rückgriff auf traditionelles Material – eigene Texte auf der Bühne. Zudem finden viele Produktionen in kleineren Räumen statt, die einen direkten Kontakt ermöglichen.

Vermittlungsprobleme fürchten die Programmacherinnen trotz des sehr speziellen Angebots nicht. „Je stärker eine Arbeit auf die konkreten Lebensbedingungen der Macher bezogen ist, desto leichter wird sie sogar verstanden“, sagt Nele Hertling. Außerdem setzt sie auf eine Vorbildung des Berliner Publikums, das im Haus der Kulturen der Welt seit Jahren über kulturelle Kontexte informiert wird. Unabhängig vom Festival findet dort zeitgleich auch ein Symposium statt: „Die Bühnen der anderen“ – ein Gespräch über „die Perpektiven eines postkolonialen zeitgenössischen Theaters“. Und für die schnelle informative Hilfe vor Ort sind Berliner Theaterwissenschaftsstudenten bei den Vorstellungen als „lebende Programmhefte“ ansprechbar.

Viel neue Intimität von der Peripherie also steht bevor beim Festival Theater der Welt in Berlin. Aber mit Richard Foreman (USA), Roger Planchon (F) und dem Piccolo Teatro (I) sind auch weltweit etablierte Theatermacher vertreten, die in Berlin bisher nicht sooft zu sehen waren. Gerade die Einladung Planchons, dessen „scharfzüngiges Theater“ Nele Hertling rühmt, sei paradigmatisch für dieses Festival: „Er ist von Belang für dieses Jahrhundert, nicht im Reisezirkus der großen Namen vertreten und hatte schon vor dem Fall der Mauer einen Stand in Ost und West.“ Petra Kohse

Theater der Welt in Berlin, 18. 6. bis 4. 7., Informationen unter Tel.: 0180/5 23 74 54 oder http://users.aol.com/tdw99