„Das ist sehr kalifornisch“

■  Weniger aufregend, weniger sexy: Wo bleibt im Marxismus der Körper? Was haben Foucault und Jane Fonda gemeinsam? Und wie steht es um die Identität des Linksintellektuellen in postideologischen Zeiten? Ein Interview mit dem britischen Literaturtheoretiker Terry Eagleton

Terry Eagleton ist Professor für englische Literatur in Oxford und Dublin und gilt als einer der letzten aufrechten linken Intellektuellen Großbritanniens. Der Autor von zahlreichen literaturwissenschaftlichen und kulturtheoretischen Standardwerken (u. a. „Ideologie“, „Ästhetik“, „Einführung in die Literaturtheorie“) beschäftigt sich dabei mit zeitgenössischer Theoriebildung. So etwa in „Die Illusionen der Postmoderne“, seinem bislang letzten auf deutsch erschienenem Buch. Die Postmoderne wird da vom jung gebliebenen Marxisten einer politischen Kritik unterzogen. Für den ernsten Ironiker stellt sich die Postmoderne jedenfalls „nicht als Lösung, sondern als Teil des Problems“ dar: ihr unpolitisches Denken bilde die Begleitmusik für den globalen Kapitalismus.

taz: Am Ende des 20. Jahrhunderts hat es den Anschein, als ob zumindest in Europa der Sozialismus endgültig an ein Ende gekommen sei. Es regieren zwar Sozialdemokraten, aber mit traditionellen linken Ideen hat das nur mehr sehr wenig zu tun. Wie stellt sich für Sie die heutige politische Szenerie dar, zumal in Großbritannien?

Terry Eagleton: Es ist zweifellos so, daß eine postideologische Linke gesiegt hat. Das Problem, das wir in Großbritannien mit dem Blairismus haben, ist nicht, daß er kein Sozialismus ist. Niemand hatte das je gehofft. Aber der Blairismus ist nicht einmal sozialdemokratisch – und das in einer Situation, in der eine solche Politik ohne weiteres möglich wäre. Allerdings hat Blair nur getan, was all die Anführer der Labour Party vor ihm tun wollten, aber nicht tun konnten: nämlich eine Partei völlig umzukrempeln, die noch ein paar sozialistische Ideen in sich trug – zumindest an der Basis.

Sehen Sie Unterschiede zwischen dem Dritten Weg Blairs und der Politik der anderen regierenden Sozialdemokraten, von Jospin bis Schröder?

Was sie zweifellos verbindet, ist dieses postideologische Moment. Das gibt ihnen natürlich auch eine bestimmte Freiheit für politisches Manövrieren – manchmal mehr in Richtung Sozialdemokratie und dann wieder mehr in Richtung einer Parodie davon. Und darin sehe ist auch den postmodernen Aspekt des Ganzen: Denn das, was verschwunden ist, ist tatsächlich die große Erzählung, von deren Ende ja schon Jean-François Lyotard gesprochen hatte. Und das legt auch nahe, daß die Postmoderne einen tatsächlichen Gehalt hat und ein wirkliches Phänomen ist. Zudem haben wir es heute mit einer Generation zu tun, für die der Begriff einer radikalen Massenbewegung ein Widerspruch in sich selbst ist. Und das wiederum hat mit der postmodernen Wertschätzung für Marginalitäten und Minoritäten zu tun – so, als ob darin etwas intrinsisch Gutes stecken würde.

Ein anderes, von der Postmoderne wertgeschätztes Objekt ist der Körper. Sie meinten in Ihrem Postmoderne-Buch, daß der Sozialismus eines Che Guevara der Somatik von Michel Foucault und Jane Fonda gewichen sei. Wie erklären Sie sich diese Körper-Obsessionen in Theorie und Praxis, die ja immer radikalere Formen annehmen?

Ich denke, daß das Interesse am Körper sowohl eine Vertiefung als auch eine Verlagerung der sozialistischen Kritik bedeutet. Es ist in dem Sinn eine Vertiefung, daß seit den sechziger Jahren die sozialistische Kritik auf bis dahin unthematisierte Bereiche wie Sexualität oder Alltagskultur übertragen wurde. Zugleich gab es ab Mitte der siebziger Jahre aber auch andere Arten von politischen Problemen, die schwerer lösbar waren. Die radikalen Energien wanderten als Folge davon anderswohin ab, zum Beispiel in Richtung Körper. Ich sehe das als einen der Gründe für das Aufkommen der Postmoderne. Dazu kommt, daß der Körper in einer immer abstrakter werdenden Gesellschaft den Vorteil hat, etwas Konkretes, Angreifbares zu sein – auch wenn das im Widerspruch zur postmodernen These von seiner unendlichen Formbarkeit steht.

Das ist ja auch eine der Behauptungen, die Sie kritisieren ...

Richtig. Was ich in vielen postmodernen Konzepten – von Michel Foucault bis Judith Butler – für völlig überzogen halte, ist die Betonung der Fügsamkeit und Veränderbarkeit des Körpers, die Behauptung von der Unendlichkeit des Begehrens sowie die Betonung von Heterogenität und Pluralität. Um es kurz zu machen: Das ist für mich alles sehr kalifornisch. Die postmoderne Version des formbaren Körpers ist die jüngste Form einer idealistischen Phantasie. Dahinter steckt diese tiefverwurzelte US-amerikanische Zurückweisung aller materiellen Grenzen und Zwänge.

Was hat ein Marxist dem entgegenzusetzen?

Die marxistische bzw. die materialistische Perspektive auf den Körper ist eine sehr viel nüchternere; sie ist zugegebenermaßen weniger aufregend, weniger sexy. Das Marxsche Interesse am Körper ist das der körperlichen Arbeit und des Leidens, das von gattungsbedingter Beschränktheit und Hinfälligkeit. Der Körper hat sich nicht so stark verändert, er ist noch immer ein natürlicher Teil der Gattung und der materiellen Welt – und wir können das nicht so einfach wegkulturalisieren und weghistorisieren.

Die obsessive Beschäftigung mit dem Körper hat auch sehr stark mit den Bemühungen um Selbstästhetisierung zu tun. Gibt es überhaupt so etwas wie eine positive Form der Selbstverwirklichung auf Seiten der Linken?

Es gibt da natürlich verschiedene Auffassungen. Ein in der Postmoderne wichtiges Konzept war das des späten Foucault, der eine Ästhetisierung des Selbstverhältnisses und des Körpers beschrieb – also diese ganze Art und Weise, sich selbst zu einem Kunstwerk zu machen. Das steht für mich sehr stark in der Tradition Nietzsches. Der ästhetisierte Körper, von dem Foucault spricht, ist für mich eine Version des „Übermenschen“. Ich kann darin nicht die geringste soziale Dimension erkennen. In einer linken bzw. radikalen romantischen Tradition wäre die Frage der Selbstverwirklichung sehr viel wechselseitiger zu denken. Während die liberale Postmoderne fordert: „Verwirkliche alle Kräfte und Möglichkeiten, solange du nicht jenen der anderen in die Quere kommst“, so würde das Postulat einer linken Tradition etwa folgendermaßen lauten: „Verwirkliche jene Kräfte und Möglichkeiten, die es erlauben, daß das andere in wechselseitiger Art ebenfalls tun.“ Ich denke, daß darin eine bedeutsame politische Ethik steckt.

Stimmt der Eindruck, daß Sie in Ihren früheren Arbeiten, etwa über Walter Benjamin, gegenüber der Postmoderne aufgeschlossener gewesen sind als heute?

Im Buch über Benjamin ging es mir mehr darum, die Linke mit dem Poststrukturalismus auszusöhnen, also gewissermaßen mit der akademisch-wissenschaftlichen Seite der Postmoderne. Aber um Ihnen eine etwas allgemeinere Antwort zu geben: Ich bin kritisiert worden, auf alle gerade modischen theoretischen Strömungen abzufahren – Schüler von Derrida zu sein, aber auch undekonstruktiver Marxist, der sich um nichts schert, was an zeitgenössischen Theorieentwicklungen passiert. Ich sehe meine Arbeit als relativ konsistent – was nicht unbedingt als Selbstlob zu verstehen ist. Neben dieser Konsistenz an politischen Zielen kam es in den letzten Jahren aber zu einem größeren Eklektizismus in den Methoden. Der westliche Marxismus war immer schon inspiriert von anderen Traditionen – sei es nun die Psychoanalyse oder die Linguistik –, und er hat gut daran getan. Marxismus hat in diesem Sinn ein durchlässiger Diskurs zu sein. Aber das bedeutet nicht, auch schon einem ideologischen Pluralismus zu frönen, der als solcher eine Kapitulation gegenüber der liberalen bourgeoisen Gesellschaft wäre.

Welche Rolle kommt in Zeiten wie diesen noch den Intellektuellen zu? Ist dieses Konzept nicht auch überholt?

In unserer postideologischen Zeit ist Kultur politisch sehr wichtig geworden. Insofern Intellektuelle in diesem Feld tätig sind, haben sie auch eine politische Rolle. Das ist, von einem materialistischen Standpunkt aus betrachtet, keine besonders wichtige Rolle. Aber nicht wichtig zu sein, heißt nicht, überhaupt keine Bedeutung zu haben. Für mich ist der Intellektuelle definiert durch seinen Gegensatz zum Akademiker – obwohl sie sich ja sehr ähnlich zu sein scheinen. Der wichtige Unterschied liegt für mich darin, daß der Akademiker bzw. Wissenschaftler in einem einzigen Fachgebiet arbeitet, während der Intellektuelle viel beweglicher und grenzüberschreitender tätig ist.

Und was zeichnet ihn sonst noch aus?

Der Intellektuelle hat bestimmte allgemeine Vorstellungen und Ideen über die Gesellschaft und die Kultur, was bei den meisten Akademikern nicht der Fall ist. Obwohl es eine Reihe von postmodernen Warnungen vor dem klassischen Intellektuellen oder gar Nachrufe auf seinen Tod gab – seine klassische Verkörperung war natürlich Jean-Paul Sartre – und wir die Rolle des Intellektuellen heute überdenken müssen, präsentieren die meisten einflußreichen Intellektuellen unserer Zeit eben traditionelle Charakterzüge: Noam Chomsky, Edward Said, Raymond Williams, Pierre Bourdieu, Jürgen Habermas oder Julia Kristeva – sie alle beschäftigen sich mit verschiedenen Dingen und sind mit deren politischen und sozialen Dimensionen befaßt.

Gerade in letzter Zeit scheint es unter z. T. auch postmodernen Intellektuellen wie Richard Rorty zu einer Rückbesinnung auf bestimmte universalistische Werte zu kommen. Oder bei Slavoj Zizek, der sich in seinem „Plädoyer für die Intoleranz“ gegen den postmodernen Multikulturalismus einsetzt. Ist auch die Postmoderne an ein Ende gelangt?

Zizek ist jemand, der aus einem marxistischen Setting kommt und mit den traditionellen linkenTheorien vertrauter ist als jemand aus Berkeley oder Cornell. Das US-amerikanische Denken – egal, ob es nun postmodern ist oder sonstwas – scheint zumindest mir durch die völlige Abwesenheit irgendeiner glaubwürdigen Tradition gekennzeichnet. Ich denke, daß es bestimmte Bereiche gibt, wo auch die Postmoderne keine brauchbaren Antworten auf einige grundlegende Fragen hatte, und dazu gehörte die Frage des Universalismus und der Menschenrechte. Selbst jemand wie der späte Foucault fing an, relativ positive Dinge über die Aufklärung zu sagen, die in seinen früheren Arbeiten nicht erkennbar waren. Oder Derrida, der nie zugeben würde, ein Kritiker der Aufklärung zu sein. Es gab also immer auch eine Art von Ambivalenz gegenüber diesen universalistischen Konzepten. Ich denke, unser heutiges Dilemma – und das zeigt sich ja nicht zuletzt am Kosovo-Krieg – besteht darin, daß wir universalistische Konzepte brauchen. Aber eben gerade nicht jene, die wir haben. Wir müssen das anders denken.

Interview: Klaus Nüchtern

und Klaus Taschwer