„Den Hit, den hatte ich schon“

■ Musik muß einfach unterhalten – auch wenn die Texte von Kindermördern handeln. Ein Gespräch mit Max Müller, dem Sänger von Mutter, über sein Soloalbum „Endlich tot“

taz: Auf Ihrer neuen CD „Endlich tot“ sind balladenhaft hübsche Songs wie „Es ist schön“, zu denen das Publikum live Feuerzeuge anzünden könnte. Aber was hat es mit den zerbrochenen Gläsern auf sich, die auf dem Cover abgebildet sind?

Max Müller: Die sind aus dem Kumpelnest, aus der Mülltonne. Ich finde, es sind sehr schön gesprungene Gläser, die ich für das Foto speziell mit Pappe und Licht im Hintergrund arrangiert habe.

Gehört dieses Spiel zwischen Schönheit und Brüchen zum neuen Konzept – Pop in den Songs und im Titel der Tod?

Ich habe mir nicht überlegt, ob das musikalische Konzept zum Titel paßt. „Endlich tot“ hat ja auch seine eigene Geschichte, der Titel geht auf ein Telefon-Interview des Schauspielers Gert Haucke zurück. Da hatte man ihn gefragt, ob er sich zu dick findet. „Klar finde ich mich zu dick“, hat Haucke geantwortet, „das sieht halt immer schlecht aus. Ich kann diese Leute nicht mehr hören, die endlich dick propagieren oder endlich alt. Das ist kein schöner Zustand, ich bin aber nun einmal so.“ Und dann hat er gemeint, daß er mal ein Buch schreiben will, das „Endlich tot“ heißen soll. Das fand ich schon genial, diese Vorstellung. Es geht nicht darum, daß man tot ist, sondern daß man sich mit einer Sache abfindet, die nicht toll ist. Wer ist gerne dick?

Man könnte aber auch meinen, daß etwas im Leben oder in der Musik von Max Müller abgeschlossen ist?

Natürlich beschreibt die Platte einen Zustand, der für mich neu ist. Ich habe völlig autonom gearbeitet, ich mußte nichts vor meiner Band oder der Plattenfirma rechtfertigen. Alles lief bei mir zu Hause ab: Wenn ich während der Aufnahmen beim Gesang Versprecher hatte, sind sie drinnen geblieben, weil es ins Konzept paßte.

Außer dem Titel, der von Gert Haucke stammt, gibt es noch mehr Verweise. Auf „Mein Vermächtnis“ hält der Chef der Deutschen Volkspartei einen Monolog. Wo kommen diese seltsamen Einsprengsel her?

Der Text war auf einer Cassette, die ich gefunden habe. Ich fand das genial, wie mittendrin seine Mutter hereinkommt und ihn ermahnt, das ist völlig deprimierend.

Es ist auch ein Zeichen dafür, wie sich Authentizität und Irrsinn vermischen. Wie wichtig ist dieses unkontrollierbare Moment für Ihre eigene Musik?

Ich will nicht, daß die Stücke wochenlang ausgearbeitet werden. Aber im Ergebnis merkt man, daß die Platte nicht zufällig entstanden ist, sondern einer klaren Linie folgt.

Gibt es deshalb Filmsoundtracks oder Freejazz-Elemente?

Klar ist das alles genau überlegt. Bei „Natur“ etwa endet der Gesang, und die Musik läuft einfach weiter. Live ging das fast fünf Minuten, das Publikum war ziemlich irritiert – soll ich jetzt klatschen oder was?! Für die Platte gilt das gleiche Prinzip: Man soll hineinkommen wie in ein „fremdes Land“, dann begegnest du einem verrückten Nazi oder einer kleinen Liebesgeschichte. Diesen Wechsel, diese Spannung vermisse ich bei den meisten anderen Platten.

Weil Pop zu sehr im Drei-Minuten-Schema formatiert ist?

Bei mir soll alles seine Eigenheiten haben, das ist meine Art von Perfektion.

Und am Ende kommt trotzdem keine saubere Oberfläche, kein Hit zustande?

Ach den Hit, den hatte ich schon mal. Wenn etwas schräg klingt, habe ich auch meinen Spaß. Es geht darum, Dinge etwas anders wahrzunehmen – ohne auf die gerade Oberfläche zu achten. Es ist doch auch bei einem völlig glatten Popsong so, daß ein toller Text erst ein gutes Lied ausmacht. Ähnlich funktioniert es mit ganz schlechter Musik, wenn da schön gesungen wird und jemand hat eine klare Stimme, dann wertet es das Lied wieder auf. Wenn aber beide Teile nur glatt sind, wird es langweilig.

Wie wichtig ist für Max Müller das Entertainment?

Ich bin kein Entertainer, da gibt es keine Ansagen zwischen den Stücken, nichts. Wenn ich mit meinen Sachen mit dem Publikum kommunizieren will, dann geschieht das allein durch die Texte. Ich weiß ja, daß die Leute reagieren, auch ohne daß ich sie vor den Kopf stoßen muß.

Das klingt zwar harmonisch, aber ein Stück wie „Geh zum Fenster“ ist trotzdem absolut beklemmend – auch wegen der „Apocalypse Now“-artigen Sounds.

Das ist mir erst während der Musik eingefallen. Ich habe überlegt, was man dazu singen kann oder ob da überhaupt Gesang zu paßt. Natürlich klingt es nach den Hubschraubern aus „Apocalypse Now“, trotzdem hat der Text nichts mit dieser Atmosphäre zu tun. Ich mag aber nicht über Texte reden, da macht man etwas kaputt, was der, der die Lieder hört, sich selbst vorstellt.

Geht es nicht auch darum, daß man in Liedern nichts Privates mehr ausdrücken kann, was nicht schon in den Talkshows bei „Vera am Mittag“ erzählt wird?

Na ja, es gibt da schon einen Unterschied, ob ich von einem Kindermörder singe oder ob Hausfrauen über Sexgewohnheiten reden. Ich erzähle ja nichts über mich selbst, ich suche eher nach einer anderen Perspektive auf bestimmte Dinge. Ich will mich in andere Leute oder ihre Situationen hineinversetzen, bei denen nicht von vornherein klar ist, wie diese Haltung zu werten ist.

Wie bei dem „Michael Kühnen“-Song von Mutter?

Ja, man muß keine Sympathien für Kühnen haben, aber man kann ihn „als Menschen“ sehen. Dabei gab es mit dem Lied gar nicht mal soviel Ärger, weil es ja ein Antifa-Song ist. Ich denke mir vor allem: Musik muß unterhalten. Dabei hat jede Platte ihre spezielle Zeit, in der man sie hören kann. „Endlich tot“ ist ja nicht für 24 Stunden am Tag gemacht.

Interview: Harald Fricke und Yves Rosset

Max Müller: „Endlich tot“ (What so funny about/Efa)

Record Release Party, heute ab 22 Uhr, Maria am Ostbahnhof