Mythos mittelloser Mittelstand

Kleine und mittlere Unternehmen sind ertragsstärker als Konzerne. Brauchen sie da noch eine Extraförderung? Ja, meint ihre schlagkräftige Lobby  ■   Von Beate Willms

Berlin (taz) – Bei einem Punkt standen selbst in der hitzigsten Debatte über die Steuerreform alle auf einer Seite: Kaum begann jemand einen Satz mit „Aber der Mittelstand ...“, herrschte plötzlich Grabesstille, und das Thema war gestorben. Denn den kleinen und mittleren Unternehmen wollte eigentlich niemand an den Kragen – im Gegenteil. Das Steuerentlastungsgesetz beschert dem Mittelstand eine Entlastung von zehn Milliarden Mark. Auch bei der Unternehmenssteuer soll er am besten wegkommen, hat der Bundesfinanzminister versprochen.

Kaum ein Bereich hat eine so gut funktionierende Lobby. So war es ein Tabubruch, als das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) in seinem Vorschlag zum Subventionsabbau auch den Mittelstand nicht ausnahm – mit einem Einsparpotential von schätzungsweise 1,7 Milliarden Mark.

Dabei ist schwer nachzuvollziehen, wieviel Geld bislang konkret an die entsprechenden Unternehmen geht, weil die Subventionsberichte diese Kategorie nicht ausweisen. So können nur die 4 Milliarden Mark an Finanzhilfen und die 3,17 Milliarden Mark an Steuervergünstigungen, die der Bund 1997 für die sogenannte Förderung betrieblicher Funktionen ausgab, als Richtwert gelten – dieser Bereich ist zu einem Großteil Mittelstandspolitik. Hinzu kommen dann noch spezielle Programme „für kleine und mittlere Unternehmen“ in verschiedenen Branchen.

Aber brauchen sie die wirklich? Definitionsgemäß sollen Subventionen Strukturanpassungen unterstützen oder Marktversagen korrigieren, also Wettbewerbsnachteile für einzelne Branchen, Unternehmen oder Regionen ausgleichen. Kleine und mittlere Unternehmen, das haben die DIW-Forscher in einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium herausgefunden, haben jedoch zwar bei der Finanzierung eher Probleme mit den Banken als große Konzerne, werfen aber im Durchschnitt sogar mehr Rendite ab – sie sind flexibler und arbeiten oft mit höherem Risiko. „Anders ist das nur bei Existenzgründern“, so DIW-Subventionsexperte Dieter Vesper. Diese bräuchten in der Regel eine Anschubhilfe. „Die muß dann aber auch so benannt und befristet werden.“

Problematisch sei der unscharfe Begriff Mittelstand. Er umfaßt derzeit sowohl kleine Existenzgründer als auch Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten. Und auch wenn der Mittelstand allgemein als Arbeitsplatzbeschaffer gilt – gestrichen worden ist hier vielleicht langsamer als in den großen Konzernen, aber immer noch genug: Laut Statistischem Bundesamt sind in den Betrieben mit zehn bis 499 Leuten binnen drei Jahren rund 145.000 Stellen vernichtet worden, oft mit Hilfe von Fördermitteln für sogenannte Gesundschrumpfungsprozesse. Eine generelle Förderung etwa von Technologietransfers oder Forschungskooperationen ist daher nach Meinung des DIW ebensowenig nachvollziehbar wie die Beteiligung am Innovationsrisiko oder „Förderungen zur Leistungssteigerung“ in Handwerk, Handel oder generell kleinen und mittleren Unternehmen.

Stefan von der Heiden, Pressesprecher des Bundesverbandes der mittelständischen Industrie, widerspricht nicht grundsätzlich. Ein Problem seien die unterschiedlichen Definitionen: Während in der Chemieindustrie ein Unternehmen mit 800 bis 1.000 Beschäftigten „eigentlich noch Mittelstand“ sei, zähle eine Druckerei mit knapp unter 500 Leuten „sicher zu den Riesen, wenn nicht zu den Top 5“. Ob es Geld gibt, richte sich aber rein nach der Anzahl der Beschäftigten.

Außerdem hätten es kleinere Unternehmen, die von Konzernen ausgegliedert würden, bei der Jagd nach Fördermitteln erheblich einfacher als unabhängige Unternehmen, „weil der Konzern ganze Abteilungen damit beschäftigt, die Möglichkeiten auszuloten“. Ein Argument für weniger Subventionen sei das aber nicht. „Wir bekommen nur drei Prozent aller Fördermittel, der Rest geht an die Konzerne“, da gebe es „keinen Spielraum“. Mit einer Einschränkung: Wenn die Unternehmenssteuerreform tatsächlich zu erheblich niedrigeren Tarifen führe, könne man „darüber reden“.