Heil Dir, Maus in der Seifenblase

■ Die Gitarrengötter Vernon Reid, David Torn und Elliott Sharp feierten ihre Emanation im Vegesacker KITO

Es gibt Konzerte, bei denen ist es aus seelenhygienischen Gründen absolut unverzichtbar, sich hinterher zu unterhalten. Zum Beispiel darüber, daß die Menschheit diese Konzerte nicht verdient hat. Die Bremer Menschheit gleich schon gar nicht. Und am allerwenigsten der Vegesackerianer mit seinem phlegmatischen Naturell. Solche Gespräche sind vielleicht misantropisch. Aber sie helfen.

Statt sich den drei Gitarrengöttern zu Füßen zu werfen, „Heilig, heilig“ zu flüstern und anschließend zu rosa Duftwölkchen zu transzendieren, verschwanden ganze Publikumsbrocken nach der ersten Zugabe aus niederträchtiger Angst vor einer zweiten. Dies nennt man Blasphemie. Und ein Wesen, das man bisher für einen Menschen hielt, meinte gar: „Pah, Schweinkram“. Denn Vernon Reid, David Torn und Elliott Sharp sind (zumindest in allen Konzertsälen der Welt, die sich nicht in Vegesack befinden) laut wie Rock, aber rocken nicht – oder zumindest erst gegen Programmende. Sie zählen zu jenen merkwürdigen Erscheinungen, deren legendärer Ruf in krassem Mißverhältnis steht zu Zahl und Begeisterungsfähigkeit des Publikums.

Reid/Torn/Sharp verfolgen konsequent ein Antirockkonzept. Statt hendrixmäßig in die Musik einzutauchen und dummen Sachen wie Einssein-mit-der-Musik nachzuhecheln, lauschen sie ihren Klängen oft hinterher wie schönen, staunenswerten Erscheinungen, dort, in der Fremde. Eine Haltung, die einem einzelnen Ton oft viel Zeit und Raum läßt. Mit diversen Mini-Cockpits für Bein und Arm voller Pedale, Knöpfe und sogar mit einem Laptop kneten sie dann ihre Töne mit derselben Zärtlichkeit, mit der ein Keramiker Erde matscht. By the way, das Wort „Tonkünstler“ kommt wahrscheinlich von „Tonerde“; müßte mal ein Ethymologe überprüfen. Natürlich stand die heilige Dreifaltigkeit meist stoisch da wie antike Götterstatuen. Natürlich war Elliott Sharp schwarz gewandet. Die Hälfte des Eintrittsgeldes darf man sich übrigens vom KITO zurückzahlen lassen, weil Sharp monogam geworden ist und den zweiten Hals seiner Gitarre zuhause gelassen hat.

Statt die Finger mit der Derbheit eines Masseurs ins Griffbrett einzuwalken, fliegen sie schwerelos über die Saiten. Ätherisch die Bewegungen, ätherisch auch oft der Klangeindruck. Von drum & bass hat man vieles über geheimnisvolle, unterirdische Klangfarben gelernt, die wie bekiffte Mäuse über den Mars flüchten würden, wenn denn Farben flüchten könnten – insbesondere vor abgestürzten Metaphern.

Das Trio mischt die undurchschaubare, polyphone Strukturdichte von Freejazz mit dem bedingungslosen Versenkungswillen von Minimal music. Radikale Unberechenbarkeit und höchste Berechenbarkeit verschwistern sich. Mal wiederholt Reid mit bewunderungswürdigen trancigem Starrsinn sechs Töne, die im freien Fall die Tonleiter abwärts (später dann aufwärts) maschieren, als wäre er selber gerne wie Bill Muray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ in einer Zeitschlaufe verheddert, bis er schließlich die Loopmaschine anwirft: Hallo Kasten, bitte übernehmen Sie. Um dieses Gerüst winden sich die Kollegen wie ein Efeu. Es muß ein krankes Efeu sein, denn das Gewächs ist voller Lücken. Und die Gitarristen unterscheiden sich vom Kleingärtner darin, daß Gerüste oft wichtiger sind als die Pflanzen. Auch ein isoliertes Tonatom, das davongeweht wird wie eine Seifenblase, kann größer im Raum stehen als ein Liniengewiesel. Die gängigen Hierarchien verlieren ihre Gültigkeit. Zusammenfassend ist also zu sagen: Es war sehr schön, sehr schön, sehr schön, sehr .... Da dieser Text um drei Zeilen zu kurz ist, kurz noch dies: Wahwahwahwahwah. bk