■ China droht Taiwan mit Worten, Taten sind noch nicht in Sicht
: Pekings taiwanisches Dilemma

Li Chong-pin, Taiwans Vizeminister für die Beziehungen mit der Volksrepublik, hat treffend erkannt: „Was Festland-China sagt und was es tut, das sind zwei verschiedene Dinge.“ Das wird bei den jüngsten Drohungen, mit denen Peking auf separatistische Worte von Taiwans Präsident Lee Tenghui reagiert, wieder deutlich. Pekings Drohungen reichen von unbestätigten Meldungen über die erhöhte militärische Alarmbereitschaft, eines von Peking-nahen Hongkonger Zeitungen vermeldeten Manövers, die erneuerte Drohung Taiwan zu erobern, bis zur Enthüllung, die Neutronenbombe bauen zu können.

Pekings Drohungen sollten ernst genommen werden, weil die Taiwan-Frage im Zentrum des Herrschaftsanspruchs der Kommunistischen Partei steht. Doch im Gegensatz zur verbalen Ebene folgten bisher keine Taten. Peking hat noch nicht einmal das für den Herbst geplante Treffen hochrangiger Vertreter Taiwans und Chinas abgesagt. Das mag noch passieren. Doch momentan sieht es so aus, als hätte sich Chinas Führung noch gar nicht entschieden, wie sie auf Taipehs rhetorischen Kurswechsel reagieren soll.

Peking steckt in einem Dilemma, denn sämtliche Optionen haben einen Preis. Läßt Chinas Regierung den Worten keine Taten folgen, erweist sie sich als Papiertiger und könnte weitere separatistische Schritte Taiwans ermuntern. Werden die Drohungen mit großen „Manövern“ oder „Raketentests“, wie bei der letzten Taiwan-Krise 1996, untermauert, schwächt Peking in dem auf Taiwan beginnenden Wahlkampf den ihm zugeneigten Kandidaten. Schon 1996 verhalf Peking Lee Tenghui ungewollte zu einem Stimmenzuwachs von zehn Prozent. Große Manöver könnten auch die USA wieder zur Entsendung von Kriegsschiffen veranlassen. Ein militärischer Angriff droht Peking erst recht weiter zu isolieren und hätte auch ökonomisch unabsehbare Folgen.

Erschwert wird die Entscheidung durch den Machtkampf zwischen Reformern und Hardlinern. Der Streit mit Taiwan erhöht den Druck auf die ohnehin in der Defensive befindlichen Reformer unter Premierminister Zhu Rongji. Ihre Politik einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Westen droht weiter Schaden zu nehmen. Noch scheint sich Parteichef Jiang Zemin nicht entschieden zu haben. Er dürfte nach einer Reaktion suchen, die mit nur geringen wirtschaftlichen und politischen Kosten ein Zeichen setzt und Pekings Gesicht wahrt, ohne den Unabhängigkeitsbefürwortern in Taiwan weiter Auftrieb zu geben. Sven Hansen