Die Quadratur des Menschen

■ A. Bohnhoff stellt Menschen an die Wand, aber nicht um zu töten: Eine Fotoausstellung in der Galerie „Salon“

Ja, den alten August Sander und sein gigantisches Porträt-Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“, die findet Andreas Bohnhoff gewaltig. Allerdings – und die Welt ist voller Allerdingse – nicht in erster Linie aus ästhetischen Gründen, sondern auf Grund von Sanders Zeitzeugenschaft. Überhaupt: Die großen dahingeschiedenen Dokumentarfotografen. Heute dagegen ... Wie es dazu kommen konnte, daß ein Thomas Ruff sich hektargroße Wandareale der bedeutendsten Museen unter den Nagel reißen durfte, versteht Bohnhoff nicht. Betreiben doch dessen hoch- (und auf-)geblasene Paßfoto-Porträts in Wahrheit nichts anderes als systematische Por-trätverweigerung. „Wahrscheinlich neutralisiert er die Gesichter, weil er das Wesentliche schlicht nicht kann: den Charakterkern eines Menschen sichtbar zu machen“, frotzelt der 53 Jahre alte, doch deutlich jünger aussehende Bremer. Auch Cindy Sherman mag er nicht. „Zu ernst.“ Aus der Sammlung Schirmer, die übrigens noch bis 25. Juli in der Bremer Kunsthalle zu bewundern ist, sagte ihm eigentlich nur das fröhliche Möbelrücken von Anna und Bernd Blume zu.

Vor etwa 15 Jahren erschloß sich der Mann mit den bohrenden Paul-Newman-Augen ganz selbstständig die Welt der Fotografie. Und mit gar nicht mal so wenigen Autodidakten teilt er einen sympathischen Zug: Ihm ist das ästhetische Wertesystem seiner Zeit relativ schnuppe. Kein Kunstprof erhielt je die Gelegenheit, seinen Geschmack zu verhunzen durch universelles Zurechterklären alles Gerühmten. Auch Bohnhoffs literarische Vorlieben sind nicht gerade von Spiegel-Bestsellerlisten geprägt. Er liest lieber Hölderlin, Rilke, Proust. Altmodischsein als praktizierte Renitenz gegen das Heute. „Was heißt hier altmodisch. Goethe zum Beispiel ist viel moderner als alles Gegenwärtige.“ Mut zur Meinung hat Bohnhoff jedenfalls. Und schöne Bilder macht er auch.

Für Andrea Lühmanns Fotogalerie hat er seine Stilleben zu Hause gelassen und ausschließlich Menschenbilder ausgewählt. Die großen Formate (80x80) sind Porträts von Bekannten und Freunden, die kleinen (20x20) dagegen zeigen dezent-surreale Szenerien. Die Personen agieren als Schauspieler, oder besser Schausteller, weil sie ja ruhen. Im Unterschied zu Shermans Ausstattungsorgien spielt Bohnhoff meist mit einem einzigen Requisit:

Ein zierlicher Mann verschwindet fast hinter einem Monster von einem Buch. Ein behäbiger Mensch mit genialischer Wirrkopffrisur träumt einem aufsteigenden Flugzeug hinterher. Ein Mensch zerklatscht eine Fliege auf einem Erdglobus; sie stirbt den Zerquetschungstod mitten in Afrika. Ein verbissener Gentechniker schützt sich vor den Gefahren des For-schens mit einem adretten Motorradhelm. Ein altes Ehepaar guckt halb hilflos, halb idyllsimulierend über einen Festtagskuchen hinweg. Viele dieser Zurückgezogenen erzeugen ein angenehm diffuses Gemisch aus Lachen und Mitleid. In Quadrate gebannt sind sie allesamt wegen deren statischer Wirkung. „Rechtecke dagegen sind meist nach einer Seite offen.“ Und vielleicht soll ja der Kosmos dieser vergrübelten Outsider von der irrwitzigen Geschlossenheit eines Becketts oder Bernhards sein. Ach nein, wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich mag Bohnhoff Beckett und Bernhard gar nicht.

Sowohl Porträts als auch Spielszenen sind alle vor demselben Stück Wand aufgenommen. Die Herausforderung der freiwilligen Selbstbeschränkung. Denn Könntertum kann durchaus heißen, auf ein paar Quadratmeter Tünche alles Licht, alle Schatten dieser Welt zu entdecken – übrigens mehr Schatten als Licht. Oft ist die Wand schummrig-wolkig ausgeleuchtet und manchmal wirkt sie wie Kellergemäuer mit Wasserschaden, ein bißchen wie beim schrägen tschechischen Einzelgänger Jan Saudek.

Haben wir eigentlich schon erwähnt, daß Bohnhoff ausschließlich Schwarz-Weiß fotografiert, natürlich? bk

Bis 4.8. im Salon/galerie für aktuelle fotografie, Parkallee 34, Do 12-14h, Fr+So 16-18h und nach tel. Vereinbarung/Tel.: 343590