Backsteinbesessen

Der Führer „Neue Architektur in Hamburg“ beschäftigt sich kritisch mit den Bauten dieser Dekade  ■ Von Britta Peters

Wer neugierig durch die Stadt geht, erlebt Überraschungen.“ Geradezu Philosophisches schickt Kultursenatorin Christina Weiss ihrer Stellungnahme in der taz-Reihe zum Architektur-Sommer 1997 vorweg, in der Hamburger ihr meistgeliebtes oder meistgehaßtes Gebäude beschreiben. Konkret auf Hamburg bezogen, benennt sie damit jedoch auch einen bedeutenden Fortschritt. Noch wenige Jahre vorher mochten viele, was Neuerungen im Stadtbild angeht, überhaupt nicht an Überraschungen glauben. Tenor der Kritik war stets, daß die Stadt durch das Festhalten an der Backsteinbauweise der Hamburger Schule eine wenig mutige Baupolitik betreibe, zu der die Begünstigung einiger weniger Architekturbüros gehöre.

Die meisten Vorwürfe richteten sich dabei gegen den langjährigen Oberbaudirektor Egbert Kossak. Vor allem die ersten 12 Jahre seiner Amtszeit von 1981 bis 1998 sind geprägt durch eine Flut von neuen Bürohäusern im Backsteindesign, zeitgemnäß aufbereitet durch die Verwendung von Glas- und Stahlelementen. Vorrangiges Ziel war das Schließen der Baulücken in der City und die Modernisierung von bestehenden Gebäuden in Alt- und Neustadt.

Prominentestes Beispiel für das Classical brick revival ist die Fleetinsel. Den Wert einer internationalen, undogmatischen modernen Architektur erkannten die Investoren aus der Wirtschaft – samt Oberbaudirektor – spät: Erst in den Neunzigern werden Aufträge an die Stars der internationalen Architekturszene vergeben, erst jetzt kommen jüngere Hamburger Büros zum Zug – etwa Dinse, Feest oder Zurl. So wird für etwas Abwechslung und Transparenz gesorgt.

Ein Teil dieser Entwicklung ist jetzt in dem von der Hamburgischen Architektenkammer herausgegebenen Führer Neue Architektur in Hamburg dokumentiert. Der von Dirk Meyhöfer zusammengestellte und kommentierte Führer knüpft inhaltlich und methodisch an den 1993 von Volkwin Marg und Reiner Schröder herausgegebenen Band Architektur in Hamburg seit 1900 an, ist jedoch feuilletonistischer gehalten. Zu dem Schwarzweiß-Druck des Vorgängers im schmalen Hochformat ist die Farbe Blau hinzugekommen und das strenge Seitenlay-out – Text, Photo, Grundrißzeichnung – wurde durch eine variierende Größe der Photos aufgelockert. Auf die Grundrißzeichnungen verzichtete man bei einigen der 130 vorgestellten Bauten ganz. Die größtenteils den Architektur-Jahrbüchern entnommenen Kurzbeschreibungen der Gebäude kontrastiert Meyhöfer durch oft mal markige Zitate von ihm selbst und anderen Kritikern. Auch wenn es verständlich ist, daß er dem Ton der Jahrbücher etwas entgegensetzen will, sind solche meinungsbildenden Anmerkungen in einem Kurzführer überflüssig. Hinweise auf den jahrelangen Leerstand einiger Gebäude wären da interessanter gewesen.

Die Entscheidung, den Bauten der Neunziger ein eigenes Buch zu widmen, ermöglicht zwar einen Überblick über die jüngste Entwicklung, hebt diese aber auch aus ihrem historischen Zusammenhang. Für allgemein an Hamburgs Baukunst Interessierte ist so eine Trennung unpraktisch. Da Meyhöfers Einleitungen zu den einzelnen Stadtgebieten die Informationen aus dem anderen Führer nur bedingt ersetzen, bedeutet das für sie, mit zwei Führern in der Tasche herumlaufen zu müssen. Für das hiesige Publikum ist die Zusammenstellung jedoch eine Erleichterung: Statt durch die Stadt zu flanieren und auf Überraschungen zu warten, kann man jetzt schöne Ausflüge planen – nach Allermöhe, in den Harburger Hafen oder auch in den Hinterhof Renzelstraße 10. Dort fand die Senatorin nämlich ihr Lieblingsgebäude.

Dirk Meyhöfer: „Neue Architektur in Hamburg. Ein Führer zu den Bauten der neunziger Jahre“, Junius, Hamburg 1999. Und zur Ergänzung: Volkwin Marg und Reiner Schröder: „Architektur in Hamburg seit 1900“, Junius, Hamburg 1993