Wie ein Fisch auf dem Trockenen

■ Reisender zwischen zwei Welten: Ben van Lieshouts Blinder Passagier im 3001

Wasser! Der Aralsee hat sich in eine Wüste verwandelt. Industrieanlagen und Baumwollplantagen haben ihn ausgetrocknet. Abgewrackte Schiffe liegen wie Walskelette in der Ödnis. Das Wasser ist weg und mit ihm das Leben aus dem kleinen Dorf in Karakalpakstan verschwunden. Ein paar Ziegen bläken verloren in der Steppe, ein paar Fische paddeln in der Badewanne. Die Zeit scheint immer langsamer voranzukriechen, schleichend macht sich überall eine tötliche Lähmung breit. Alles liegt still.

Orazbaj, Sohn eines Fischers, hält die Monotonie nicht mehr aus. Alles ist absurd: Sein Vater läßt sich nicht davon abbringen, sein Schiff instand zu halten, immer in der Hoffnung, das Wasser könnte eines Tages zurückkehren. Dabei sind doch sogar die Wasserhähne tot. „Wo das Wasser ist, da sind die Möven/Sie kennen den Wert der Dürre nicht/Sie wissen nicht, was es heißt Heimaterde zu haben/ Sie ziehen unbekümmert weiter.“ So heißt es in einem Lied, das seine Schwester singt. Orazbaj faßt einen Entschluß. Auch er will das Wasser suchen und das große Leben. Er beschließt zur See zu fahren – eine Odysee durch die Finsternis. Im Gepäck hat er nur den Amerikanischen Traum in Form eines zerknitterten Posters, auf der eine Blondine und ein funkelnder Caddy zu sehen sind.

Als blinder Passagier im Bauch eines Frachters überläßt sich Orazbaj dem Schicksal, das ihn nach Rotterdam verschlägt. Dort findet er auf dem Balkon einer Seefahrerfamilie Unterschlupf. Als Zaungast in einem reichen Land ist er ein Fremdkörper, eine Nullstelle. Besitzlos, sprachlos, ein Nichts. Doch er macht Gehversuche auf dem unbekannten Terrain. Die Ehe des Seefahrers ist in der Krise, der Fremde wird dem kleinen Maarten zum Vaterersatz. Als Katharina eine Affäre mit ihm anfängt, beginnt eine kurze Zeit glücklicher Dreisamkeit. Doch der Vater sorgt dafür, daß der Habenichts abgeschoben wird.

Zurückgekehrt in die Heimat stellt er fest, daß die Zeit dort weiter ihre weiten Bahnen zieht, er aber sich verändert hat. „Wie ist das, wegzugehen und dann zurückzukehren?“, fragt ihn eine Freundin. Doch eine Verbindung in eine andere Welt bleibt bestehen. Ein dünner Faden ist gepannt von Rotterdam nach Karakalpakstan. Und dann geschieht ein Wunder: Das Wasser kommt zurück.

Ben van Lieshout Blinder Passagier – ausgezeichnet in Rennes, Bergamo und auf dem Filmfestival Mannheim-Heidelberg – braucht nicht viele Worte, sondern spricht wie seine Figuren in Zeichen und Bildern. Ein Werk, das einen Reisenden zwischen zwei Welten zeigt, beide auf ihre Weise surreal. Das Ende der Welt kann überall sein, es kommt nur auf den Standpunkt an.

Interessant die Aufnahmen aus dem fernen Karakalpakstan, märchenhaft und trostlos zugleich. Etwas müßig, daß auf einen klassischen Spannungsaufbau bewußt verzichtet wird. Die Dinge passieren einfach. Ehe man versteht warum, sind sie auch schon passiert.

Anna von Villiez

Do, 29. Juli bis Mi, 4. August, 20.30 Uhr, 3001