Litanei mit einem gewissen Ironiepotential

■ Im Wald der Psychoanalyse: Annette Messagers Installation in der Hamburger Kunsthalle

Die Rotunde der Hamburger Kunsthalle, die dem Bahnhof gegenüberliegt wie die Kuppel einer weltlichen Kirche, ist ein bizarrer Ort für Installationen. Dem Sakralen ist schwer zu entgehen; wer es zu wörtlich nimmt, ist dem Bau jedoch aufgesessen. Der erste Gedanke, wenn man die Installation von Annette Messager betritt, ist: „Das ist doch zu dunkel.“ Der zweite ist: „Das war aber eine Menge Arbeit.“

Vor dem physischen Auge, das dem geistigen in dieser Situation sehr nahe ist, baut sich langsam das Geflecht auf, ein Wald von Schnüren, Netzen und Bündeln, von Drähten weit über Kopfhöhe. Als Lichtquellen, vom Raum und seinen Objekten fast verschluckt, dienen sechs klare Glühbirnen à 40 Watt. Andere Elemente, die sich wiederholen, sind schwarzweiße Fotografien.

An dieser Stelle sollte man eine Exkursion in das Erdgeschoß des Neubaus machen, wo eine klassische Arbeit Messagers gezeigt wird: „Meine Wünsche“. Es ist jener Kreis an Schnüren aufgehängter Fotografien von Körperdetails: Hand, Auge, Lippen, Fuß, Penis, Knie, dessen Spiel mit dem Detail, dem Maßstab, der Verkennung und der Ähnlichkeit auch nach 25 Jahren noch faszinierend ist. Daneben hängt ihr Tableau gestickter Sprichwörter, die sich alle auf Frauen beziehen: „Wenn ein Mädchen geboren wird, weinen sogar die Mauern“ (versteht man noch, was damals gemeint war?) und „Die Frauen sind eine Rasse für sich“. Die farbigen Stickereien sehen mit ein bißchen Abstand aus wie Filzstiftzeichnungen.

Gleich nebenan wird eine Installation von Christian Boltanski gezeigt, und der Vergleich der Lebenspartner drängt sich auf. Boltanski hat das Motiv der verlorenen Biographie sentimental ausgeschlachtet. Egal, was er bietet, der WK-II-Muff ist immer drin (und soll auch), darin Beuys verwandt. Messager berührt auch das Gruselige, aber ihr Mann/Frau-Thema birgt ein gewisses Ironiepotential, das sie zeitgenössisch erscheinen läßt. Zumindest hat das Pathos des Empfindungsraums ein Gegengewicht. In der neuen Arbeit nistet die Ironie im Motiv der Tiere. Im visuellen Mittelpunkt des Themenwalds (es ist nicht die physikalische Mitte) findet man eine kleine Konferenz ausgestopfter Tiere: eine Taube, eine Bleßhuhn, ein Iltis ..., an anderer Stelle wartet ein Fuchs unter einem Brautschleier melancholisch auf sein Stichwort. Die Stichworte sind übrigens als vertikale Typo-Bäume abgehängt: prudence, confiance, attente, oubli – die Blockbuchstaben nicht auf Bahnen genäht, sondern frei schwebend wie Russisch Brot.

Vielleicht sollte man noch von den Figurenbündeln sprechen, Fragmente riesiger Kuschelpuppen – aber man braucht nicht das komplette Register, um Messagers Installation zu folgen. Wichtiger sind die Übergänge, das Miteinander von Sprache und Bildern, Figuren und reinen Materialien. Niemand könnte einem erzählen, die Künstlerin wäre aus Dänemark. Es ist ein spezifisch französischer Diskurs, dessen Vorstellung von dem, was Bilder sind, durch die Psychoanalyse geprägt ist. Dieser Diskurs ist frei von der Angst, etwas zu bezeichnen; deshalb steht das Wort legitimerweise direkt neben dem Bild oder ist Teil dessen. „DépendanceIndépendance“ nennt Annette Messager ihre Arbeit für Hamburg und bezeichnet im Katalog den Titel als „Litanei“. Vielleicht ergibt sich ja einmal die Gelegenheit, ihren Katholizismus mit dem Mike Kelleys zu vergleichen. Ulf Erdmann Ziegler

Bis 8. 8. in der Hamburger Kunsthalle