Im Schmugglerparadies des Maghreb

An der Grenze zwischen Algerien und Marokko sehen die Schmuggler einer Öffnung der Schlagbäume gelassen entgegen. Es gibt schließlich immer Dinge, die nicht legal über die Grenze gebracht werden dürfen  ■   Aus Oujda Reiner Wandler

Die drei Grenzpolizisten sind zufrieden. „Wir wissen noch nicht den Tag, aber die Grenze wird bald wieder offen sein“, sagen sie einhellig. Seit 1994 haben die Zöllner hier auf halbem Weg zwischen dem marokkanischen Oujda und dem algerischen Maghnir nichts weiter zu tun, als Tee zu trinken. Seitdem ist die Grenze dicht. Nach einem Attentat auf ein Hotel in Marrakesch, bei dem zwei spanische Touristen ums Leben kamen, machte Marokko algerische Islamisten für die Tat verantwortlich und führte die Visapflicht für Algerier ein. Dies ließen sich die Autoritäten im Nachbarland nicht gefallen. Algier schloß die Grenze zwischen beiden Ländern ganz. Eiszeit in den bilateralen Beziehungen.

„Jetzt wird sich das endlich ändern“, sagt der Älteste der drei Zöllner. „Wir sind auf den großen Tag vorbereitet“, fügt er stolz hinzu und zeigt auf die Gebäude hinter den Sperrgittern. Die Wände, Türen und Fenster, die Schilder, die die Lkws und Pkws in getrennte Spuren einweisen – alles ist frisch gestrichen. Weiter hinten auf der algerischen Seite das gleiche Bild. Selbst die beiden Nationalfahnen sind neu.

Wie jeden Tag seit der Schließung halten sich die drei Polizisten mehr am kleinen Kiosk neben den Grenzanlagen als in ihrem Büro auf. Der Älteste von ihnen hat hier am Schlagbaum die ganze wechselhafte Geschichte der Beziehungen der beiden Maghrebländer miterlebt. „1994 wurde die Grenze nicht zum ersten Mal geschlossen“, beginnt er zu erzählen. 1963, als die beiden Länder kurz nach der Unabhängigkeit Algeriens einen Grenzkonflikt weiter im Süden ausfochten, blieben die Schlagbäume erstmals unten. 1975, nachdem Marokko die ehemalige spanische Kolonie Westsahara besetzte und Algerien die Befreiungsbewegung Polisario unterstützte, ein zweites Mal. Danach führten beide Länder die Visapflicht ein. „1988, mit dem Ende des algerischen Einheitssystems, kam die Wende“, sagt der Zöllner. Bis zu 12.000 Menschen reisten täglich durch Oujda. Es kam Leben in die Stadt. Überall entlang des Boulevard Mohammed V. wurden Hotels eröffnet. Seit 1994 stehen sie wieder leer. Die algerischen Händler fahren seither mit der Fähre von Oran ins spanische Alicante. Oujda verlor seine Haupteinnahmequelle. Ein schwerer Schlag für eine Region mit 700.000 Einwohnern, in der, so wird erzählt, jede Familie mindestens ein Mitglied als Immigranten in Europa hat.

„Bouteflika ist sehr verantwortungsvoll, deshalb macht er die Grenze wieder auf“, loben die Zöllner den algerischen Staatschef. „Wissen Sie übrigens, daß er hier in Oujda geboren und aufgewachsen ist?“ fragt dann der Jüngste im Bunde. Alle hier in Oujda sind stolz auf den Sohn algerischer Einwanderer in Marokko, als wäre er ihr eigener Präsident. Zusammen mit Hassan II. hätte er eigentlich die Grenzstation wieder eröffnen sollen. Doch der König starb vor einer Woche. Und vielleicht wird man jetzt erst die Trauerzeit von 40 Tagen abwarten, bevor der Präsident und der junge König die Schlagbäume in einer feierlichen Zeremonie wieder öffnen werden.

„Seit fünf Jahren hab' ich kaum noch Kunden“, sagt der Besitzer des kleinen Kiosk direkt an der Grenze, in dem die drei Polizisten seit 1994 Tag für Tag ihre Dienstzeit totschlagen. Oft hat er daran gedacht zuzumachen. Jetzt ist er froh, daß er mit seinen drei mal drei Metern voller Erfrischungsgetränke und Kekse durchgehalten hat. In der Hoffnung auf die Grenzöffnung läßt er einen Nebenraum ausbauen. Strom und Wasser liegen schon. Fehlen nur noch die Fliesen und der Anstrich.

„Auch ich bin äußerst zufrieden darüber, daß die Grenze wieder aufgehen soll“, sagt Khaled Sahnoun. Er hat soeben den „Tourismuskomplex Palmenhain“ fertiggestellt. Das rosa gestrichene Gebäude mit ausladenden Terrassen, Grill- und Wechselstube, Motel und Sälen für Kongresse und Familienfeste liegt genau an der 14 Kilometer langen Straße von der Zollstation nach Oujda. „Wenn die Grenze wieder aufgeht, dann werde ich hier nicht darum herumkommen, durchgehend 24 Stunden zu öffnen.“

Khaled ist einer der 9.000 Algerier, die in Oujda leben. Er kam 1992 aus dem 200 Kilometer entfernten Oran hierher. „Marokko war wirtschaftlich liberaler, deshalb habe ich zusammen mit meinem Vater hier eine Fabrik für Sportschuhe aufgemacht“, erzählt der junge, mit Goldkettchen behängte Mann. Schnell machte ihm eine andere Grenze einen Strich durch die Rechnung, die in das 140 Kilometer entfernte Melilla, eine spanische Enklave an Marokkos Nordküste. „Von dort aus überschwemmte chinesische und vietnamesische Billigware den Markt in Nordafrika und Südeuropa“, erzählt er. Seine Fabrik mußte er schließen. „Aber jetzt machen wir vielleicht mit unserem Komplex mehr Geld, als wir mit den Schuhen verloren haben, dank Bouteflika und seiner Majestät Hassan II.“, macht sich Khaled Hoffnungen.

Was ihn am meisten an der geschlossenen Grenze stört, sind die Probleme bei der Heimreise nach Oran. „Ich muß von hier nach Casablanca fliegen. Dann nach Algier und von dort nach Oran“, beschreibt er die Odyssee. 3.000 Kilometer statt 200, 1.300 Mark statt eine halbe Tankfüllung. Es geht freilich auch billiger. Mit Schleppern, die gleich bei Khaleds Restaurant um die Ecke im Schatten eines Trafohäuschens warten. Für umgerechnet zwanzig Mark bringen sie ihre Kunden auf dem Mofa nach Algerien. „Wenn ich hier ein einfacher Student wäre ... Aber ich habe Verantwortung, das Geschäft, die Familie“, weist Khaled diese Möglichkeit weit von sich. Viele der Menschen auf beiden Seiten einer Grenze schrecken jedoch vor der illegalen Reise nicht zurück, um ihre Verwandten im jeweils anderen Land zu besuchen.

In Oujda und Umgebung haben viele lernen müssen, ihren Lebensunterhalt trotz der geschlossenen Schlagbäume zu bestreiten. Die Region gleicht denn auch einem Supermarkt für Schmuggelware. Jeder Grenzabschnitt hat sich auf andere Produkte spezialisiert. Aus der Stadt selbst werden Lebensmittel und Textilien nach Algerien exportiert. „Ich fahre dreimal täglich rüber“, sagt einer der jungen Schmuggler, die hier halb spanisch, halb französisch trabandistes genannt werden. Er lädt seinen alten, graubraunen Peugeot 504 bis oben hin voll, dann wartet er auf das Startsignal des Chefs. Der hat sich versichert, daß an der Grenze alles ruhig ist. Wenn nötig wird einer der Soldaten, die alle 700 Meter stationiert sind, geschmiert.

„Wir fahren direkt bis an die Grenze. Dort übergeben wir die Ware in einem kleinen Landhaus an einen Algerier. Der bezahlt uns, lädt um, und wir kommen zurück“, erzählt der 29jährige, der seinen Namen nicht nennen will. Selbst Produkte wie Äpfel oder Gemüse finden in Algerien reißenden Absatz. Manche der geschmuggelten Produkte haben bereits eine andere Grenze hinter sich. Sie kommen – wie die kanarischen Bananen – über die Enklave Melilla aus Spanien.

„Unser Geschäft ist nicht immer ganz ungefährlich“, erklärt ein Kollege. „Mich haben sie einmal verhaftet. Auto und Ware wurden beschlagnahmt. Ich habe beides nie wieder gesehen“, erzählt er. Die jungen trabandistes leben gut. Anders als viele Altersgenossen haben sie eine Wohnung, sind verheiratet und haben bereits Kinder. Ob sie nicht um ihr Geschäft fürchten, wenn die Grenze aufgeht? „Nein, dann kommen die Algerier zurück und kaufen im großen Stil. Dann braucht es Händler und Spediteure“, ist sich einer sicher. „Und es wird immer Dinge geben, die nicht legal über die Grenze gebracht werden können“, fügt sein Kollege hinzu. In Oran und Algier raucht die Jugend Haschisch aus Nordmarokko.

Nicht überall in der Region sehen die Menschen der Grenzöffnung so gelassen entgegen. In Bouchtat, gleich außerhalb von Oujda, fürchten sie um ihr Geschäft. Viele fahren mit dem Mofa einen langen asphaltierten Landweg mitten durch Olivenhaine hinunter zum ausgetrockneten Grenzfluß Oued Ben Sabaa. Dort, unweit eines verfallenen algerischen Grenzpostens, auf dem nicht einmal mehr eine Fahne weht, nehmen sie von algerischen Autofahrern eines der wenigen Produkte entgegen, die das Land im Überfluß zu bieten hat: Benzin. Schnell wird das kostbare Gut mit einem Schlauch aus dem Tank in 30-Liter-Plastikkanister umgefüllt. Drei Kanister pro Mofa überqueren die Grenze. Umgerechnet zwölf Mark Gewinn bleiben pro Fuhre, wenn alles gut geht. Ansonsten gehen zwei bis drei Mark an die Gendarme ab, die hier ihre Kontrollfahrten machen. Weitere zwölf Mark bleiben für den, der am Straßenrand das algerische Benzin in Cola-Flaschen und Fünfliter-Speiseölkanistern feilbietet. Der Kunde spart pro Liter Super am Ende immerhin noch 40 Pfennig. Vor der Grenzschließung kamen die Algerier im Auto hierher und finanzierten über den mitgebrachten Sprit einen Teil ihrer Einkäufe. Geht der Schlagbaum hoch, dürfte es mit dem Geschäft der Mofafahrer schnell vorbei sein.

Wer Diesel braucht, der fährt ins zwölf Kilometer entfernte Beni Drar an der Landstraße von Oujda nach Nador und Tanger. Überall am Straßenrand stehen junge Männer. Die Faust mit dem Daumen nach unten bedeutet: „Volltanken?“ Selbst Lkws und Reisebusse halten an. Die regulären Tankstellen entlang der Landstraße wurden bereits vor Jahren geschlossen. Die Fenster und die Anzeigetafeln der Zapfsäulen sind den Steinen spielender Kinder zum Opfer gefallen.

„Nur Verwaltung und Polizei tanken zum offiziellen Preis“, grinst ein Taxifahrer, der mit seinem Mercedes regelmäßig nach Beni Drar kommt.

Einmal hier, schaut er sich in den unzähligen Geschäften entlang der Durchgangsstraße um. Neben den Grillstuben, die das Fleisch der bei Nacht und Nebel über die Grenze getriebenen algerischen Hammelherden anbieten, bestimmen Haushaltswaren das Bild. Fliegenspray, Handtücher und Decken kommen dagegen aus Algier, Kochtöpfe und Gasherde aus der Kabylei. „Alles auf dem Rücken von Eseln geschmuggelt“, gesteht einer der Verkäufer bereitwillig ein. Auch er sähe die Grenze lieber wieder offen. „Ich habe seit 1994 große Verluste hinnehmen müssen“, beteuert der Händler.

„Die Wiederöffnung der Grenze ist für alle das beste“, sind sich auch die Grenzpolizisten am Übergang zwischen Oujda und Maghnir einig. Dann gehe es mit der Region auch wirtschaftlich wieder aufwärts.

„Ohne mich in die Politik einmischen zu wollen, aber ich habe noch nie verstanden, wie es soweit kommen konnte. Schließlich sind wir mehr als Nachbarn. Algerier und Marokkaner, wir sind alle Muslime und Maghreb-Araber. Wir sind ganz einfach Brüder“, spricht einer der Zöllner aus, was die meisten Menschen auf beiden Seiten der trennenden Linie denken.

„Mich haben sie einmal verhaftet und alles beschlagnahmt. Ich habe das Auto und die Ware nie wieder gesehen.“Zwölf Mark Gewinn bleiben pro Fuhre Benzin, wenn alles gutgeht. Sonst gehen zwei bis drei Mark an die Gendarmen.