„Blühende Landschaften sind nicht zu erwarten“

■ Professor Holm Sundhaussen, Leiter des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin, über die Erfolgsaussichten des Balkan-Stabilitätspakts und den Beitrag, den die Wissenschaft leisten kann

taz: Wie beurteilen Sie die Aussichten des Balkan-Stabilitätspaktes in sicherheitspolitischer Hinsicht? Werden Kriege in diesem Teil Europas bald der Vergangenheit angehören?

Sundhaussen: Südosteuropa steckt voller Konfliktstoffe. Viele der Konfliktpotentiale sind jedoch während der letzten Jahre entschärft worden. Die verantwortlichen Politiker in Ungarn, Rumänien oder Bulgarien haben sich um friedfertige Arrangements mit ihren Nachbarn und Minderheiten bemüht. Das Gegenbeispiel verkörpern Miloševic und Tudjman, die Präsidenten Rest-Jugoslawiens und Kroatiens. Die Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, daß in Zeiten der Verunsicherung und des sozioökonomischen Niedergangs eine Handvoll skrupelloser Politiker reicht, um große Teile der Region in Flammen zu setzen. In jeder Gesellschaft gibt es Akteure, die auf dem Markt der Gewalt ihre Chancen suchen und die von Krieg, Schattenwirtschaft und Mafiastrukturen profitieren. Unter „normalen“ Bedingungen werden sie in die Illegalität abgedrängt oder kommen gar nicht erst zum Zuge. Erst der Ausbruch gewaltsamer Konflikte eröffnet ihnen ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten. Die Truppen der internationalen Gemeinschaft werden deshalb noch Jahre gebraucht. Die Verhinderung von Mord und Totschlag bedeutet allerdings nicht, daß die Regionen wirklich befriedet sind. Dazu bedarf es nachhaltiger wirtschaftlicher, infrastruktureller und kultureller Stabilisierungsmaßnahmen. Die Demokratisierung muß unterstützt, die grenzüberschreitende Kooperation innerhalb der Region ermutigt und die Integration der einzelnen Staaten in transnationale Gemeinschaften intensiviert werden. Dies sind die Aufgaben des Westens.

Der Westen betrachtet eine nachhaltige wirtschaftliche Gesundung der Region als Grundvoraussetzung für den Frieden. Ist ein Marshall-Plan für den Balkan mit seinen hochgesteckten Zielen überhaupt realistisch?

Kurz- und mittelfristig sicher nicht. Die Länder des Balkanraums werden mehrere Jahrzehnte benötigen, um allein das wirtschaftliche Niveau des derzeit schwächsten Mitglieds der EU, Griechenland, zu erreichen. „Blühende Landschaften“ sind selbst dann nicht zu erwarten. Der Erfolg des legendären Marshall-Plans läßt sich im Balkanraum nicht wiederholen. Dafür fehlen sämtliche Voraussetzungen. Denn mit Geld allein ist es ja nicht getan. Im Nachkriegsdeutschland konnte man auf eine, wenn auch zum Teil zerstörte, immerhin moderne Infrastruktur sowie Facharbeiter und einen funktionierenden Verwaltungsapparat aufbauen. Auf dem Balkan ist mit internationaler Hilfe langfristig eine Entwicklung in Richtung griechisches Niveau denkbar. Wenn wir das schaffen, wäre das ein großer Erfolg.

Welchen Beitrag kann die deutsche Wissenschaft zum Aufbau in Südosteuropa leisten? Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat ja eine Balkaninitiative für die Wissenschaft gestartet.

Die Balkan-Initiative ist ein erstes Signal. Doch sie kommt reichlich spät. Während der 90er Jahre sind die Kapazitäten für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Balkan in Berlin drastisch abgebaut worden. An der FU gab es den einzigartigen Studiengang Balkanologie. Der wurde Mitte der 90er Jahre eingestellt, als der Krieg in Bosnien-Herzegowina tobte und jeder Beobachter des Geschehens wußte, daß uns der Balkan noch auf Jahre hinaus beschäftigen würde. Das Osteuropa-Institut ist im Verlauf des letzten Jahrzehnts auf ein Viertel seines ursprünglichen Personalbestands reduziert worden. Diese Kapazitäten fehlen jetzt. Die Balkan-Initiative könnte einen Umdenkungsprozeß einleiten. Es ist aber ebenso denkbar, daß die Initiative verpufft, sobald das Kosovo aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Mit Hilfe des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und anderer großer Stiftungen kann die deutsche Wissenschaft dennoch einen Beitrag zum Aufbau Südosteuropas durch Wissenstransfer, Ausbau wissenschaftlicher Netzwerke und grenzüberschreitenden Dialog leisten. Direkt gehört hierzu auch die Verbesserung des Informationsniveaus über Südosteuropa hierzulande. Die Defizite sind gewaltig, sowohl bei Politikern wie in der breiten Öffentlichkeit und bei Wissenschaftlern. Und da Südosteuropa mindestens noch in den kommenden zehn Jahren auf der Agenda der deutschen und europäischen Politik bleiben wird, ist der Nachholbedarf groß.

Interview: Heiko Hänsel