Backpacker sind wie Lemminge

■ Berlin gehört inzwischen zum Pflichtprogramm der Rucksacktouristen. Die Hostels sind keine Goldgruben. Sie müssen strenge Bauauflagen erfüllen, im Winter stehen sie leer

Es gibt Jobs, für die man sich erst durch einen jahrelangen Urlaub qualifiziert. Einen davon hat Ulrike Becker. Sie ist Mitbegründerin des „Frederik's Hostel“ in Friedrichshain, einer von zehn Unterkünften für Rucksacktouristen in Berlin. Genau wie ihre Kundschaft ist Ulrike Becker selbst durch die Welt gereist. Sie weiß, was internationale Traveler suchen: „Eine familiäre Atmosphäre und die Möglichkeit zum Austausch mit Gleichgesinnten.“

Die gab es nicht immer. Was Hostels betrifft, war Berlin im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen lange Zeit unterentwickelt. Das liegt auch daran, daß vier von fünf Berlintouristen keine Unterkunft benötigen: Sie schlafen bei Freunden oder Bekannten. Die Quote ist höher als in anderen deutschen Großstädten.

Die Hostel-Idee paßte lange Zeit nicht in das Denkraster deutscher Behörden. Das bekam auch Ulrike Becker bei der Planung ihres Hostels zu spüren: „Die Typen auf dem Bauamt waren alte Stasi-Betonköpfe, die hatten von Hostels noch nie etwas gehört.“ Sie mußte die strengen Bauauflagen erfüllen, die ursprünglich für teure Hotels mit einem ganz anderen Publikum erdacht wurden. So mußte sie in jedem Zimmer ein Waschbecken installieren lassen, für die komfort-entwöhnten Traveler ein unnötiger Luxus.

Zum anderen gehörte die Stadt lange Zeit nicht zum Pflichtprogramm der Rucksacktouristen aus Übersee. „Was das Interesse der Backpacker angeht, spielte Berlin lange Zeit in der dritten Liga“, erklärt Andreas Becker, Betreiber des Circus-Hostels in Mitte. Doch das hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren geändert. Inzwischen, so Becker, sei das „Muß-Gefühl“ da: Auf einmal kommen alle. „Backpacker“, sagt Andreas Bekker, „sind wie Lemminge.“

Der Zuwachs beim Rucksacktourismus wird das touristische Gesamtwachstum von jährlich sieben Prozent vermutlich noch übertreffen. Trotzdem warnt Andreas Becker davor, zu glauben, Hostels seien eine Goldgrube. Während die Häuser im Sommer geradezu überquellen, stehen sie im Winter zu Dreiviertel leer. Außerdem haben inzwischen ein paar Betriebswirtschaftsstudenten das Hosteling als Busineß entdeckt. Sie fanden Investoren, mit deren Hilfe sie in Mitte eine Riesenherberge mit zunächst 200 Betten eröffnen wollen, später soll sie auf 700 Betten erweitert werden.Die Zahl der Hostel-Betten hätte sich damit auf einen Schlag verdreifacht.

Ulrike Becker vom „Frederik's“ hält von solchen Mammutprojekten wenig: „Denen fehlt der Idealismus. Wir dagegen sind jeder selbst durch den Busch gegangen.“ Olaf Dimigen