Dili hat jetzt sogar eine Diskothek

■ Ost-Timors Hauptstadt Dili platzt aus allen Nähten. UN-Mitarbeiter, Journalisten, Diplomaten und Besucher haben der Stadt einen Boom beschert. Doch ob er den Einheimischen auf Dauer nutzt, steht noch sehr in Frage  Aus Dili Hugh Williamson

Der Kellner im portugiesischen Restaurant Totonitos war offensichtlich noch nicht lange im Geschäft. Der Osttimorese hantierte etwas unsicher mit den vielen Tellern auf seinem Arm. Sein Freund Eddie Ortega, der Besitzer des Restaurants, hatte ihn gebeten auszuhelfen. Die vielen Neuankömmlinge in der Stadt hatten das Geschäft belebt. Früh am abend hatte er zusätzliche Tische vor dem populärsten Lokal in Dili aufgestellt. Die waren alle schnell besetzt, und es kamen immer mehr Gäste. „Das Restaurant läuft sehr gut und ich würde gerne erweitern“, sagt Eddie. „Aber ich muss mehr Lebensmittel importieren und Stühle kaufen. Ohne Kapital ist das sehr schwierig.“ Bis jetzt stören diese kleinen Probleme Eddie wenig. Denn fast alles ist besser als früher. Dili, an der Nordküste Ost-Timors zwischen Bergen und Strand gelegen, war lange Zeit eine Geisterstadt. Nur wenige Besucher bekamen die Erlaubnis, das Gebiet zu bereisen. Und Einheimische mieden die Straßen aus Angst vor Gewalttätigkeiten, besonders am Abend. Das Geschäftsleben wurde dominiert von Firmen, die über enge Beziehungen zum Militär verfügten.

Auch jetzt sind die Bedingungen alles andere als ideal. Die Einschüchterung der Bevölkerung durch proindonesische Milizen, die sich gegen eine Unabhängigkeit von Jakarta aussprechen, lösen immer noch große Sicherheitsbedenken bei der UN-Mission (Unamet) aus, die die für Ende August geplante Abstimmung über den künftigen Status Ost-Timors organisiert. Die Milizen haben bislang rund 60.000 Einwohner aus ihren Dörfern vertrieben. UN-Generalsekretär Kofi Anan hat den das Referendum deshalb bereits zweimal verschoben. Andererseits hat die Präsenz der UN zu einem ökonomischen Boom in Dili geführt. Die Stadt droht aus allen Nähten zu platzen.

Dili hat weniger als 200 Hotelbetten, muss aber mehr als 900 Mitarbeiter der UN, Hunderte Wahlbeobachter, Journalisten, Diplomaten und Heimkehrer unterbringen. Dilis sechs kleine Restaurant sind ständig überfüllt, es mangelt an Lebensmitteln. Flüge nach und von Dili sind bis September ausgebucht. Die Einrichtungen für Telefon, Fax und Internet sind völlig überlastet. Es gibt kaum Unterhaltungsangebote und die Nachfrage nach Dienstleistungen – vom Essen bis zum Wäsche waschen – übersteigt das Angebot bei weitem.

Gino Favaro ist einer von denen, die Abhilfe schaffen wollen. Der stämmige Australier betreibt das Hotel Dili, das älteste Gästehaus der Stadt. Es steht vor einem seiner Bungalows am Meer: „Die Wirtschaft brauchte einen Anschub“, sagt er, „aber es ist traurig, das er auf diese Weise kam, Frieden und Tourismus wären besser gewesen.“ Alle seine Zimmer sind an UN-Mitarbeiter vermietet. Nun hilft er den Timoresen ihre Zimmer ebenfalls an Gäste zu vermieten, für 15 Dollar die Nacht. „Das ist neu, bisher war es nicht üblich, sein Haus für Fremde zu öffnen.“

Johannes Wortel freut sich über jede Hilfe, die er kriegen kann. Unamets Verwaltungschef sagt, dass die meisten seiner Leute an schwierige Lebensbedingungen gewöhnt sind. „Wir verlassen uns auf die lokale Wirtschaft, die der neuen Nachfragen nachkommen wird. Gerissene Händler könnten sicher die schnelle Mark machen“, sagt er fast schreiend, um den Lärm der Klimaanlage in seinem Büro, das sich in einer umgebauten Schule befindet, zu übertönen. „Wir erwarten, dass die Preise um 30 Prozent steigen“, meint er. „Meine Hotelrechnung ist schon um 50 Prozent gestiegen“, sagt John Martinkus, eine australischer Journalist. „Ein Auto mieten, einen Übersetzer bezahlen – alles ist teurer.“ Bauunternehmer arbeiten praktisch Tag und Nacht. Fünfmal in der Woche landet jetzt ein Flugzeug, früher waren es drei. Und kürzlich öffnete in Dili die erste Disko seit der indonesischen Invasion vor 24 Jahren.

Aber dennoch spielen die alten ökonomischen Verbindungen immer noch eine Rolle. „Relativ wenige Einheimische haben von dem Boom profitiert“, sagt Martinkus. Ost-Timor war traditionell von Kapital aus Jakarta abhängig. PT Batara Indra, eine Firmengruppe mit engen Verbindungen zum Militär, dominierte die Wirtschaft. Die Gruppe hat ihre Aktivitäten zurückgeschraubt und will sich völlig zurückziehen, falls das Referendum zu Gunsten der Unabhängigkeit ausgeht. Viele der neuen Geschäfte und Firmen werden von Großfinanziers aus dem benachbarten Bali betrieben und Arbeiter, Köche und Putzkräfte sind gleich mitgekommen.

Während die steigenden Preise die lokale Bevölkerung am härtesten treffen, muss sich die Voraussage der UN, 3.000 Arbeitsplätze zu schaffen, erst noch bewahrheiten. „Bis jetzt arbeiten erst 500 Einheimische für die UN“, sagt Martinkus, der Journalist. Die UN räumt Probleme bei der Rekrutierung von qualifiziertem einheimischen Personal ein. Es ist schwer vorherzusagen, ob die Osttimoresen vom gegenwärtigen Boom in Dili auf lange Sicht profitieren.