„Gerd weiß, er kriegt Widerspruch“

■  Wenn der Kanzler zu viel Gedöns macht, wird ihm kollektiv widersprochen, berichtet Bildungsministerin Edelgard Bulmahn vom Kabinettstisch. Ihr Ziel: Der soziale Aufstieg durch Bildung, von dem sie selbst profitierte, soll wieder leichter werden

taz: Vor einem Jahr haben Sie ihren Vorgänger, Bildungsminister Jürgen Rüttgers, noch für mangelnden Gestaltungswillen kritisiert. Wie steht es nun mit Ihrer Gestaltungsfreiheit?

Edelgard Bulmahn: Wir haben das politische Ziel, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Innovationen in der Bundesrepublik schneller und leichter möglich sind. Zum Zweiten setzen wir das Ziel der sozialen Gerechtigkeit um. Für beides spielen Bildung und Forschung eine Schlüsselrolle. Aus der Forschung erwachsen direkt Innovationen. Und die indivuellen Lebenschancen eines Menschen hängen sehr stark davon ab, welche Möglichkeiten der Bildung und Ausbildung man erhält.

Eigentlich wollte Ihre Partei den 15-Milliarden-Etat des Ressorts verdoppeln ...

... nein, wir wollten die Investitionen verdoppeln. Das sind 5 Milliarden Mark in fünf Jahren.

Jetzt sind Sie bei Normalnull.

Wir haben im Haushaltsjahr 1999 die Ausgaben um eine Milliarde Mark erhöht. Das sieht man von außen bloß nicht, weil die gesamte Mittelstandsförderung in Höhe von einer Milliarde zum Wirtschaftsminister ging. Auch durch den Sanierungsbeschluss der Bundesregierung, der meinen Etat im Jahr 2000 absenkt, haben wir das Ziel nicht aufgegeben. Wir haben es nur um ein Jahr gestreckt. Es ist im Kabinett vereinbart, dass sich mein Etat in den kommenden Jahren jeweils um eine Milliarde Mark erhöht.

Sie haben vergangenen Herbst noch in einem Interview gesagt, sie wollten die Vermögensteuer wieder einführen, um mehr in Bildung investieren zu können.

Das ist eine Möglichkeit, die wir im Wahlprogramm niedergelegt hatten und die ich auch persönlich aufgegriffen hatte. In der Politik muss man sich aber immer wieder fragen: Ist das das richtige Instrument? Jetzt müssen wir erst mal den Sanierungskurs durchführen. Und das ist eine richtige Entscheidung, weil man es nicht verantworten kann, dass die Zinsausgaben des Bundes immer weiter ansteigen. Das stranguliert unseren politischen Handlungsspielraum. Dieser Kurs stößt in meiner Partei auf Zustimmung – und in der Mehrheit der Bevölkerung.

Auch die Wiedereinführung der Vermögensteuer würde Sie in diesem Kurs unterstützen.

Ich würde über Steuererhöhungen nicht diskutieren. Das könnte für manche das Signal aussenden, daß der Kurs des Sparens nicht so wichtig ist – weil man auch die Einnahmen erhöhen kann. Das wäre nicht sachgerecht.

Es wäre vielleicht taktisch nicht klug, aber sachgerecht wäre die Vermögensteuer auf jeden Fall: Das Privatvermögen der privaten Haushalte beläuft sich allein an Geldmitteln auf 5,7 Billionen Mark – das ist weitaus mehr, als Staat oder Wirtschaft zur Verfügung steht. Ein Drittel dieses Billionenbetrags ist in den Händen eines kleinen Anteils von 5,5 Prozent der Vermögenden. Finden Sie es gerecht, dass für diese Vermögen keine Steuern mehr bezahlt werden müssen?

Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass dieses Geld in der Bundesrepublik investiert wird. Wir haben noch viel zu wenig private Geldgeber für Existenzgründer. Das ist ein echtes Manko. Deswegen will ich lieber darüber diskutieren, wie man das private Vermögen sinnvoll für Investitionen mobilisieren kann. Dazu gehört auch, das Stiftungsrecht so zu verändern, dass auch in Bildung, Forschung und kulturelle Anlagen investiert wird.

Bedeutet das, dass die Vermögensteuer vom Tisch ist?

Es ist falsch, sich nur auf die Vermögensteuer zu stürzen. Man müsste genauso überlegen, ob die Erbschaftsteuer ein besseres Instrument wäre. Aber das hat alles nicht den gewünschten Effekt, wenn wir die Rahmenbedingungen nicht ändern. Daher will ich nicht über einzelne Steuern diskutieren, sondern über den ganzen Zusammenhang.

Der saarländische Ministerpräsident Klimmt schreibt gerne Briefe zu dem Thema. Hätten Sie auch Lust dazu?

Briefeschreiben ist ein etwas einseitiger Diskurs. Ich finde, man muss miteinander reden, ob der Weg richtig ist, den man geht. Das ist die bessere Methode der Auseinandersetzung.

Gibt es denn inhaltlich gewisse Sympathie mit Klimmts Position?

Ich glaube, dass die allermeisten Mitglieder der SPD unsere Vorschläge daran messen, ob sie zu mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr Arbeit führen.

Das Schröder/Blair-Papier hat eine andere Reihenfolge: Da heißt es, der Wirtschaft muss es gut gehen. Was ist ihre Position?

Ich will genau nicht diese falsche Alternative. Es ist falsch, Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit gegen Wirtschaftswachstum zu stellen – das eine bedingt das andere. Die SPD unterscheidet sich positiv von den anderen Parteien, weil sie erkannt hat, dass in einer demokratischen Gesellschaft beides miteinander verbunden werden muss.

An der Basis gibt es aber durchaus Unbehagen.

Damit muss man sich auseinandersetzen. Wovon ich aber überhaupt nichts halte, ist einen Streit zwischen „Modernisierern“ und „Traditionalisten“ zu führen. Das hat keine Perspektive.

Sie waren das erste Mädchen in ihrem Geburtsort Döhren, das auf ein Aufbaugymnasium ging ...

... zusammen mit meiner Schwester.

Aufstieg durch Bildung also. Wie finden Sie, dass ein solcher Aufstieg unter der sozialdemokratischen Ministerin Bulmahn viel schwerer ist?

Unter Frau Bulmahn wird der Aufstieg wieder leichter. Aber ich kann nicht in einem halben Jahr das alles gerade rücken, was die alte Regierung in 16 Jahren kaputtgemacht hat.

Ich habe bereits für mehr Chancengleichheit beim Bafög gesorgt, indem ich die Elternfreibeträge um 6 Prozent erhöht habe. Das sind keine Peanuts, über die wir da reden. Jeder Bafög-Empfänger hat 70 Mark mehr in der Tasche. Und ich werde das Bafög auch in den nächsten Jahren weiter so verändern, dass es seinen Namen als Ausbildungsförderung des Bundes wieder verdient.

Sie meinen die große Bafög-Reform: dass alle Studierenden auf einen Teil der Studienförderung zugreifen können.

Nein, sorry, das wollten die Sozialdemokraten nicht. Chancengleichheit heißt nicht, dass ich reichen wie auch ärmeren Familien eine staatliche Unterstützung für das Studium gebe. Wir geben allen Familien eine Unterstützung in Form des Kindergeldes und des Ausbildungsfreibetrages, und wir geben den schlecht gestellten Familien zusätzliches Geld in Form des Bafögs.

Das heißt, das Drei-Körbe-Modell ist nicht das Ihre?

Das habe ich damit nicht gesagt. Meine Priorität neigt allerdings zur Chancengleichheit, und die kann ich nur erreichen, wenn ich die Einkommensgrenzen anhebe.

Ist das Drei-Körbe-Modell denn noch in Ihrer Planung?

Das Drei-Körbe-Modell wäre am besten geeignet, die elternunabhängige Komponente des Bafög zu stärken. Ich möchte das, weil Studierende junge Erwachsene sind – das heißt, sie sollten die steuerlichen Erleichterungen direkt erhalten, die der Staat sonst den Familien für Ausbildung gibt.

Eines Ihrer wichtigsten Ziele ist, Forschungseinrichtungen und Hochschulen zu entbürokratisieren. Wie soll das gelingen?

Zum Beispiel mit der Neugestaltung des Dienstrechts. Es zeichnet mich im Gegensatz zu meinen Vorgängern aus, dass wir dieses heiße Eisen endlich angepackt haben. Wir wollen künftig einen Teil des Gehaltes von Professoren leistungsbezogen bezahlen.

Das Beamtenrecht formuliert aber einen ganz anderen Leistungsbegriff – nämlich Treue und Hingabe gegenüber dem Staat. Dafür bekommt der Beamte sein Leben lang Alimente von Vater Staat. Ist das für Professoren zeitgemäß?

Es ist kein Widerspruch zum Beamtenrecht, dass man Leistungen im modernen Sinne erbringen muss. Das hat man bloß bisher nicht gemacht.

Das Beamtenrecht versteht unter Leistung eben etwas anderes.

Der Leistungsbegriff muss eben heute so interpretiert werden, dass Beamte in Bildung und Forschung Leistung erbringen. Wir müssen uns verabschieden von dem Prinzip, dass man immer mehr Geld erhält, nur weil man älter wird. Die Wissenschaft soll der Türöffner für eine Veränderung des Beamtenrechts als Ganzen sein.

Sie könnten das veraltete Beamtenrecht doch auch gleich ganz abräumen.

Das Problem löst sich nicht dadurch, dass Professoren in den Angestelltenstatus wechseln. Der Angestelltentarif ist eben nicht der flexible Rahmen, den wir brauchen. Mein Ansatz: Wenn jemand hervorragende Leistungen zeigt, kommt er in den Genuss leistungsbezogener Gehaltsanteile.

Würde man da nicht zwei unvereinbare Dienstrechte aufeinander satteln?

Das Problem hätten Sie so und so, weil alle, die bereits Professor sind, für ihren Status Vertrauensschutz genießen.

Zum Schluss. Der Bundeskanzler hat irgendwann mal von „Frauen und diesem Gedöns“ gesprochen.

Da hatte er einen ganz schlechten Tag.

Es heißt, Sie beide verbinde ein „freundschaftliches Arbeitsverhältnis“. Wird das durch solches Gedöns beeinträchtigt?

Gerd weiß, dass er Widerspruch kriegt für solche Bemerkungen.

Haben Sie ihm denn widersprochen?

Wir haben im Kabinett alle miteinander sehr deutlich gemacht, dass eine konsequente Gleichstellungspolitik ein Markenzeichen dieser Regierung ist. Interview:

Uta Andresen und

Christian Füller