Stets noch einen drauf

Viel Doom und Splatter, wenig Milleniumsphantasien: Das dreizehnte Fantasy-Filmfestival in den Kinos Royal Palast und Filmtheater am Friedrichshain  ■   Von Bettina Allamoda

„Does it hurt to be dead?“, fragt der kleine Jake seinen Hausgeist zu Beginn von David Koepps „Stir of Echoes“, dem Eröffnungsfilm des 13. Fantasy Filmfests. Jake hat die Gabe Dinge vorauszusehen und Geister wahrzunehmen. Auf einer Party werden seinem Dad Tom Witzky (Kevin Bacon) durch Hypnose ebenfalls die Sinne erweitert. Seitdem wird er von splatterähnlichen Erscheinungen verfolgt.

In seinem Chicagoer Wohnviertel, wo alle ein bisschen grungig aussehen und sonntags auf der Straße zusammen Bier trinken, geht Tom diesen Spuren nach – wie in einem klassischen Mystery-Thriller, der nicht schwarz ist, sondern eher dunkelbraun. Russel Mulcahys „Resurrection“ spielt ebenfalls im heutigen Chicago und führt diese „Dunkel am helllichten Tag“- und „Sonnenschein bei Regen“- Einstellungen der Schwarzen Serie fort.

Christopher Lambert jagt als unsympathischer Kommissar einen hochintelligenten Serienkiller mit religiösen Motiven. Es bleibt bis zum Ende ein hoffnungsloses Unterfangen, denn schließlich gelingt es dem Massenmörder, ein unappetitliches Kunstwerk aus menschlichen Extremitäten fertigzustellen – samt aufwendiger Videoinstallation, die den Polizeibeamten seine Message verkündet.

Im Drang, stets noch einen drauf zu setzen und damit gleichzeitig einen Klassiker drehen zu wollen, ist „Resurrection“ voller Psycho-Ballast und lässt den Zuschauer damit trotz Happyend allein. Einige der US-amerikanischen Filme des Fantasy-Fests laufen entweder als Preview, bevor sie im Herbst regulär in die Kinos kommen, oder sie sind erst gar nicht in deutsche Kinos gekommen. So auch F. Gary Grays „The Negotiator“ mit Samuel L. Jackson in der Hauptrolle – ein weiterer Thriller aus dem Chicagoer Polizeimilieu. Brillant spielt er den erfolgreichen, aber schwarzen „Vermittler“ Lt. Danny Roman, der durch seine spektakulären Rettungsaktionen von Geiseln ein bekanntes Gesicht auf den lokalen TV-Sendern ist.

Doch plötzlich wird ihm Unterschlagung von Polizeirentengeldern untergeschoben. Als er gezwungen wird, sein „Badge“ abzugeben, wendet er das Blatt und nimmt selbst Geiseln. Mit Hilfe von Kevin Spacey als neutralem, doch ebenbürtigem Negotiator Chris Sabian aus dem West District der Stadt löst er seinen Fall der innerbetrieblichen Polizeikorruption auf eigene Faust, wie Dr. Richard Kimble in „The Fugitive“.

Ein Splatter künstlerischer Art aus New York ist Office Killer von Cindy Sherman: Dorine (Carol Kane) ist eine graumausige Sekretärin der Verbraucherzeitung „Constant Consumer“. Als sie zur Computer-Heimarbeit verdonnert wird, bringt sie aus Versehen einen Vorgesetzten um. Dorine hat zunehmenden Spaß daran, ihre ideale Arbeitsumwelt daheim mit einer Reihe toter Firmenmitarbeiter kreativ zu gestalten (darunter Barbara Sukowa als wunderbar kettenrauchende Chefin). Das Erstlingswerk der bekannten Fotokünstlerin bedient sich aller möglicher amerikanischen und auch feministischer Klischees, um selbst wieder eins zu produzieren. Anders als auf ihren Fotos, für die Sherman selbst in gefakten Filmsets posiert, spielt Dorine im Film mit ihren Toten wie mit Puppen.

Der von den Veranstaltern betonte „Asienschwerpunkt“ bietet leider wenig Ungewöhnliches: Kassenschlager aus Fernost. In „The Ring“, (Japan, 1998, Regie: Hideo Nakata) setzt ein mysteriöses Horrorvideo mit schlechter Bildauflösung den Zuschauer unter einen tödlichen Fluch. Als dies auch der TV-Reporterin Asaka (Shinya Kawai) droht, die über den Fall berichtet, versucht sie mit Hilfe ihres Ex-Mannes Ryuichi (Taka Ichise), das Rätsel um überirdische Kräfte und subliminale und geheime Botschaften auf VHS zu lösen. Denn auch Ryuichi und ihr gemeinsamer Sohn Yoichi haben das Band gesehen. Die Story entwickelt sich zur Endlosschleife, die in Japan als Fortsetzungs-Fernsehserie bekannt ist.

Lee Chi Ngais „The Sleepless Town“ zeigt Takeshi Kaneshiro („Fallen Angels“), das asiatische Teenie-Idol mit klassischem Pferdeschwanz, in verschiedenen Posen vor dem malerischen Hintergrund des Tokioter Vergnügungsviertel Shinjuku. „Ballistic Kiss“ (Hong Kong, 1998, Regie Donnie Yen) dagegen ist ein echter Action-Polizei-Thriller. Cat Lee, ein Kassenbrillen tragender Kung-Fu-Killer-Held, wird von Regisseur Donnie Yen selbst gespielt, dem Sohn der Martial-Arts-Meisterin Bow Sim Mark. Es ist die romantische Geschichte eines existenzialistischen Supercops, der zwischen New York und Hongkong die Seiten von Gut zu Böse wechselt und als einsamer, enttäuschter Killer mit kaltblütiger Präzision arbeitet. Er verliebt sich in die Mordkommissarin Carrie (Annie Wu), die seine Festnahme vorbereitet.

Ganz anders als in den gewohnten Martial-Arts- oder Yakuzafilmen hat „Ballistic Kiss“ auch etwas von den mit melancholischen Mancini-Soundtracks unterlegten New-York-Filmen der frühen Sechziger – nur, dass diese jetzt mit Kampfszenen gekreuzt wurden, die in ihren kurweiligen Zeitlupensequenzen schneller als das menschliche Auge sind. Trotzdem wirken diese Speedabfolgen kaum bemüht – selbst wenn Cat über Leben und Tod philosophiert oder im Morgengrauen Walzer tanzt.

Trotz viel Film noir à la Fernost kommen Fantasyfans mit „Stormriders“ (Hongkong 1998 , Regie: Andrew Lau) als beliebtestem Film des letzten Jahres in Hongkong auf ihre Kosten. Der wirklich böse Lord Conqueror (Sonny Chiba) wird durch eine Prophezeiung des Mud Buddah dazu bewegt, Whispering Wind (Ekin Cheng) und Striding Cloud (Aaron Kwok) als Mitstreiter seines ohnehin mächtigen Clans aufzunehmen. In ihren stillvollen, langen schwarzblauen Metallermähnen und Designerledermänteln, mit ihren blitzenden Augen und riesigen Schwertern entwickeln sie übermenschliche Kräfte und folgen ihrem Meister. Nach zehn Jahren wendet sich aber, wie vorhergesagt, das Schicksal: „Der Drache lebt noch, aber sobald Wind und Wolken sich zusammentun, werden sie zum Sturm ...“ Der bekannte Filmregisseur und häufige Berlinale-Gast im Forum, Andrew Lau, hat eine Martial-Arts-Saga geschaffen, die mit ebenso spektakulären wie klaren Special Effects japanische Mangafilmgeschichten perfekt verfilmt. Die Handlung detailliert zu verfolgen fällt nicht unbedingt leicht, aber die Umsetzung von Bluebox-Effekten, den eingefrorenen Bewegungen sowie der Zeitlupentechnik und den präzisen Computerschnitten transformieren die Geschichte selbst auf eine kinematografische Metaebene.

Ansonsten hält sich das letzte Fantasy Filmfest in diesem Jahrtausend mit viel Doom, Splatter und mehr Film noir als Science fiction bei seinem großen Sprung ins nächste Millenium eher zurück.

Vom 11. 8 bis 18. 8. 99, Royal Palast, Tauentzien 9, und FaF, Bötzowstr. 1-5