Die Neuen im kleinen Horrorladen

Saarbrückens Bündnisgrüne waren der Schrecken der Bundespartei. Nach dem Fundi-Realo-Showdown und zwielichtigem Autohandel im Landtag wurde die Partei von Jungen übernommen – die niemand kennt  ■   Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Saarbrücken (taz) – Christian Molitor hat sich vor einem gewaltigen Förderturm im saarländischen Göttelborn aufgebaut. Die dazugehörige Steinkohlegrube steht vor der Schließung. „Dass wir Frösche in Eimern über Bundesstrassen tragen können, weiß doch jeder“, sagt der junge Mann und lenkt gleich auf das Thema, das ihm das Wichtigere ist: Der Strukturwandel im Saarland.

Strukturwandel in grün

Christian Molitor ist 33 und Spitzenkandidat der Grünen im Saarland. Zusammen mit seiner 30-jährigen Mitstreiterin Eva Dahl, enthüllt das erste Plakat für die bevorstehende Landtagswahl in der Bergbauregion. Es zeigt Dr. Molitor im grauen Anzug mit Rollkragenpullover beim Händedruck mit einem Kumpel im schmutzigen Overall. „Leere Versprechungen ersetzen nicht die Wahrheit“, brummt der Bergmann. Und der junge Grüne antwortet, „deshalb stehe ich für einen Strukturwandel mit klaren Worten und Taten“.

Leere Versprechungen hingegen hat die SPD an der Saar gemacht, meint Eva Dahl. Die Frau von Platz zwei der Landesliste zeigt auf den Förderturm, der erst vor zwei Jahren mit Bundes- und Landesmitteln auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine gebaut worden war. Ende 2000 wird die Zeche wegen mangelnder Rentabilität stillgelegt. „500 Millionen in den Sand gesetzt“, schimpft Molitor.

Ohne den Strukturwandel, ohne neue Arbeitsplätze im Hochtechnologie- und im Dienstleistungssektor, werde das Saarland zum Armenhaus der Republik, prophezeit der Kandidat. Genau wie das benachbarte Lothringen, das zum Armenhaus Frankreichs verkam, als die Zechen schlossen.

Molitor, Dahl und die anderen Kandidatinnen und Kandidaten der Landesliste für die Wahlen an der Saar stehen selbst für einen Strukturwandel – den der Landespartei, die zunächst der „kleine Horrorladen“ für die Bündnisgrünen war. Brutale Flügelkämpfe zwischen der Hochburg der Fundamentalisten aus Saarbrücken und der Realos aus Saarlouis prägten die grüne Saar-Filiale. In Saarlouis traten 800 Neugrüne dem Ortsverband des Landesvorstandssprechers und Landtagsabgeordneten Bernd Ullrich bei. Die „Fundis“ wurden weggebissen, leiteten aber über die Bundespartei ein Verfahren ein, das die Überprüfung der Parteibücher der vielen Bündnisgrünen in Saarlouis zur Folge hatte. Das Verfahren läuft noch, ebenso der Parteiausschluss gegen den grünen Landtagsabgeordneten Pollak, der beim Ladendiebstahl erwischt wurde.

Zum „großen Horrorladen“ avancierte die Landespartei für die Bundespartei 1998. Da wurde der Hyperrealo Ullrich als findiger Autohändler enttarnt. Mit einem Rabatt, der Landtagsabgeordneten eingeräumt wird, kaufte Ullrich diverse Luxuskarossen – um sie gleich danach knapp unter Listenpreis wieder zu verkaufen. Den nicht unbeträchtlichen Gewinn strich er ein. Erst im März 1999 trat Ullrich freiwillig, wie er sagt, von allen Ämtern im Landesvorstand und im Ortsverband Saarlouis zurück. Sein Landtagsmandat behielt er.

Dennoch war der Weg frei für eine Erneuerung der Landespartei. Der Fisch stank vom Kopf her. Und deshalb wurde – im ungewöhnlichen Flügelkonsens – die Landesliste komplett neu besetzt. Einen Aufschwung brachte das alles zunächst nicht. Bei den Europa- und Kommunalwahlen im Juni schmierte die Partei ab: Fast überall unter fünf Prozent. Auf dem Lande wurden die Grünen marginalisiert.

Zerreibt es die Grünen?

Molitor weiß, dass es für ihn und seine Mitstreiterinnen schwer werden wird, in den Landtag zu kommen. Mit der Attacke von Ministerpräsident Klimmt (SPD) gegen die Steuer- und Rentenpolitik der Bundesregierung, die im Saarland „gut angekommen ist“ (Molitor), habe die Polarisierung zwischen den Blöcken CDU und SPD noch zugenommen. „Die Grünen könnten dabei schlicht zerrieben werden, wie in Hessen.“ Das wäre schlecht auch für die Bundespartei. „Im Osten bei den Landtagswahlen ist doch nichts zu holen“, weiß der rührige Wahlkampfkoordinator Michael Scharfschwerdt, auch ein Newcomer.

Scharfschwerdt hat die Prominenz der Partei komplett an die Saar geholt. Joschka Fischer sowieso, aber auch Fraktionschef Rezzo Schlauch und die Parteisprecherinnen Antje Radcke sowie Gunda Röstel. An der Saar steht auch die programmatische Erneuerung der Partei auf dem Prüfstand und ihr Generationenwechsel. Fast alle Kandidatinnen und Kandidaten auf der Landesliste sind jünger als 35 Jahre. Ihr Manko: Keiner kennt sie. Spitzenkandidat Molitor etwa stolpert zum Lunch in Merchweiler in eine Stammkneipe der Sozialdemokraten. Kaum einer der Männer schaut vom Bier auf. Der Wirt bringt die bestellte Apelsaftschorle. „Ich kenn' Sie doch; sin' Sie net einer vom Klimmt seine Leut'?“ Molitor schluckt. „Nein, nein. Ich bin der Molitor von den Grünen und will mit Klimmt und der SPD vielleicht koalieren – nach dem 5. September“, sagt er. Da lachen die Männer am Tresen. Und der Wirt fragt laut: „Noch eine Apfelsaftschorle zum Salat, Herr Molitor?“ Mit den Modernisierungsverweigereren von der starren Saar-SPD koalieren? Mit dieser SPD den Strukturwandel durchsetzen? Molitor zuckt mit den Schultern. „Mit der CDU gibt es noch weniger Gemeinsamkeiten. Und außerdem muss der Koalition in Bonn der Rücken gestärkt werden.“ Der Salat kommt. Alles Essig. Noch vier Wochen bis zur Wahl.