■ Im Kosovo werden nun systematisch Serben terrorisiert
: Haben wir dafür gekämpft?

Die systematische Einschüchterung der SerbInnen im Kosovo bringt Schande über die AlbanerInnen in dieser Provinz und wird weit reichende Folgen haben. Im Verlauf eines Monats wurde eine alte Frau in ihrem Badezimmer zu Tode geprügelt, ein zweijähriger Junge wurde verletzt und seine Mutter erschossen, zwei Jugendliche wurden mit einem Granatwerfer umgebracht, eine Frau wagt es nicht, öffentlich ihren Namen anzugeben, aus Angst, dass diejenigen zurückkehren könnten, die versucht haben, sie zu vergewaltigen. Alle diese Opfer waren Serbinnen und Serben.

So traurig es ist – dies sind keine Einzelfälle. Viele der im Kosovo verbliebenen Serben und Serbinnen haben sich in ihren Häusern eingeschlossen, terrorisiert von dieser Atmosphäre, in der jedes Geräusch beängstigend wirkt und wo jedes Auto, das in der Straße anhält, das Abholkommando in den Tod sein könnte.

Da ist der Fall des älteren Ehepaars, das nichts mehr zu essen hat und das sich nicht auf die Straße zum Einkaufen wagt, weil die Eheleute wissen, dass man sie an ihrem schlechten Albanisch als Serben erkennen wird. Ihre albanischen Nachbarn können ihnen auch keine Lebensmittel geben, denn sie wurden davor gewarnt, „Serben zu füttern“.

Ich weiß, wie sich die hier verbliebenen SerbInnen, aber auch die Roma fühlen. Ich weiß es, weil ich zusammen mit zwei Millionen AlbanerInnen vor nur drei Monaten selbst genau in dieser Lage steckte. Ich kenne ihre Angst. Wir hörten im Radio, dass Belgrad den Militäreinheiten den Befehl gegeben habe, alle und jeden zu töten – auch Frauen, Kinder und Alte. Jedes Auto, das irgendwo anhielt, bedeutete Gefahr. Jedes ungewohnte Geräusch schien den Tod anzukünden. Von unseren serbischen Nachbarn konnten wir kaum Hilfe erwarten.

Ich muss gestehen: Ich schäme mich. Ich schäme mich zu sehen, dass wir Kosovo-Albaner zum ersten Mal in unserer Geschichte auch zu solch monströsen Taten fähig sind. Ich kenne natürlich die offensichtliche Entschuldigung, dass wir durch einen barbarischen Krieg hindurchgegangen sind, in dem Serben die abscheulichsten Verbrechen begingen. Die Intensität der Gewalt hat bei vielen Albanern den Wunsch nach Vergeltung hochkommen lassen. Aber dies ist keine Rechtfertigung.

Jene Serben, die Verbrechen gegen AlbanerInnen begangen haben, sind längst geflohen. Mit ihnen haben andere das Kosovo verlassen, weil sie Vergeltung fürchteten von den Angehörigen der tausende von Menschen, die in Massengräbern beigesetzt sind. Die heutige Gewalt, mehr als zwei Monate nach Ankunft der Nato-Truppen, ist mehr als nur eine emotionale Reaktion. Das ist eine organisierte und systematische Einschüchterung aller SerbInnen aus dem einzigen Grund, dass sie serbisch sind und deshalb als Kollektiv für alles verantwortlich gemacht werden, was im Kosovo geschah. Dieses Verhalten ist faschistisch. Die Bevölkerung des Kosovo hat genau dagegen zehn Jahre lang gekämpft, zuerst friedlich und dann mit Waffen.

Die Behandlung der Kosovo-Serben heute bringt Schande über alle Kosovo-Albaner – nicht nur über jene, die solche Verbrechen begehen. Die Last dieser Schande werden wir gemeinsam tragen müssen. Sie entehrt uns und unser eigenes Leid, das noch vor kurzem über die Bildschirme in die ganze Welt getragen wurde. Und sie entehrt das Andenken an all die kosovo-albanischen Opfer, die allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit ermordet wurden.

Vielleicht wird uns die internationale Gemeinschaft nicht dafür bestrafen, dass wir das multiethnische Zusammenleben im Kosovo nicht verteidigt haben. Schließlich war auch vor dem Krieg die Zahl der Nichtalbaner im Kosovo etwa so hoch wie jene der Nichtslowenen in Slowenien. Und niemand spricht heute von einem multiethnischen Slowenien. Trotzdem: Aus Opfern der schlimmsten Verfolgungen am Ende des Jahrhunderts in Europa wurden wir zu Tätern und haben zugelassen, dass der Faschismus hier sein Gesicht wieder zeigt.

Wer meint, die Gewalt werde von alleine enden, wenn nur der letzte Serbe vertrieben ist, lebt in einer Illusion. Die Gewalt wird sich dann gegen andere AlbanerInnen richten. Haben wir dafür gekämpft?

Veton Surrol

Der Autor ist Herausgeber der kosovo-albanischen Tageszeitung „Koha Ditore“, wo dieser Text erschien. Übersetzt und zur Verfügung gestellt hat ihn die Medienhilfe Ex-Jugoslawien aus Zürich.