„Parteien müssen reden“

■ Urs Boegli, Sprecher des IKRK, über ein noch bestehendes humanitäres Nachkriegsproblem

taz: Herr Boegli, nach wie vor befinden sich Ihren Angaben zufolge fast 2.000 Kosovo-Albaner in serbischer Haft. Haben Sie Kontakt zu ihnen?

Urs Boegli: Wir haben in den letzten Wochen 1.925 gefangene Kosovo-Albaner in Serbien besuchen können und uns mit jedem individuell und ohne Zeugen unterhalten. Das IKRK hat schon seit über einem Jahr Gefangene besucht und das Programm nach dem Ende der Bombardierungen auch wieder aufgenommen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Personen mit ihren Familien Kontakt aufnehmen konnten, indem wir den Angehörigen eine Nachricht der Gefangenen zukommen ließen. Seither sind wir informiert worden, dass es 18 weitere Personen gibt, die wir besuchen können. Wir wissen allerdings nicht, ob es noch weitere Gefangene gibt, zu denen man uns Zugang gewähren wird.

Gibt es Angaben darüber, wie viel Personen bereits vor den Luftangriffen inhaftiert waren und wie viel während dieser Zeit dazugekommen sind?

Darüber haben wir keine genauen Zahlen. Aber es gibt beide Gruppen von Inhaftierten.

Wo befinden sich die Leute?

Sowohl in Haftanstalten in Belgrad als auch in Provinzstädten wie Nis und Novi Pasar.

Welchen rechtlichen Status haben die Gefangenen?

Es gibt die Belgrader Position, die besagt, dass es sich um Bürger Jugoslawiens handelt, die nach den Gesetzen dieses Staates inhaftiert sind. Auf der kosovo-albanischen Seite neigt man dazu, diese Personen als Kriegsgefangene zu betrachten. Die Kriegsparteien müssen darüber verhandeln. Sobald Einigkeit besteht, kann man dann auf das IKRK zählen, um eine Befreiung zu organisieren, so wie wir dies für eine Gruppe bereits im Juni getan haben.

Sind Schritte geplant, um zu Verhandlungen zu kommen?

Meines Wissens nicht. Es ist nicht unsere Aufgabe als humanitäre Organisation, Verhandlungen zu verlangen. Wir rufen einfach nur in Erinnerung, dass hier noch ein humanitäres Problem besteht.

Von serbischer Seite wird darauf aufmerksam gemacht, dass auch Serben im Kosovo festgehalten werden ...

Besorgte Serben im Kosovo erzählen uns, dass auch serbische Bürger verschwunden sind, nicht nur kürzlich, sondern bereits im letzten Jahr. Wir haben eine Liste mit etwa 200 Namen. Wir sind bei der UÇK vorstellig geworden, um über dieses Problem zu reden. Dort hat man uns versichert, es gebe keine Politik der Gefangennahme. Durch unsere Feldarbeit vor Ort hoffen wir, einiges über vermisste Serben zu erfahren.

Interview: Boris Kanzleiter