Ethnische Enklaven sind längst Realität

Mit ihrer Straßenblockade in Gracanica verhindern die Serben, dass Albaner in ihren Ort zurückkehren können. Die Führung in Belgrad hat ein Interesse daran, dass viele Serben im Kosovo bleiben    ■ Von Erich Rathfelder

Sarajevo (taz) – Mit Lastwagenblockaden hat die serbische Bevölkerung Gracanicas die Zufahrtsstraßen zu ihrer Stadt abgesperrt. Die Leute protestieren mit dieser Aktion gegen die Entführung von drei serbischen Bewohnern der Stadt. KFOR-Truppen errichteten ihrerseits Straßensperren, um Zusammenstösse zwischen Albanern und Serben zu vermeiden, wie es hieß. Damit gibt es nach Orahovac, wo Albaner die Straßen um die Stadt abriegeln, jetzt einen zweiten Ort im Kosovo, wo die Bevölkerung auf die Barrikaden gegangen ist.

Die Kleinstadt Gracanica ist vor allem von Serben bewohnt. Sie wurde während des Krieges im Kosovo von Albanern „gesäubert“. Vor allem von Albanern bewohnte Vororte und albanische Dörfer der Umgebung wurden systematisch zerstört. Die meisten serbischen Männer des Ortes wurden Ende März in die Armee oder in paramilitärische Gruppen eingezogen. Die Albaner der Umgebung fordern deshalb vehement die Verhaftung jener Männer, die sie der Kriegsverbrechen verdächtigen. Bisher jedoch haben die britischen KFOR-Truppen noch keine Verhaftungen vorgenommen, die Untersuchungen des Haager Gerichtshofs konzentrieren sich zur Zeit noch auf die Region Prizren. Bei den drei Entführten soll es sich inoffiziellen Angaben aus Priština zufolge um Mitglieder der serbischen Paramilitärs handeln.

Schon Mitte Juli war es zu einem spektakulären Mord an 14 Männern aus dem nahe gelegenen serbischen Dorf Gradsko gekommen. Die Männer waren damals offenbar in einen Hinterhalt gelockt und allesamt erschossen worden. Bis heute wurden keine Untersuchungsergebnisse bekannt gegeben. Nach ersten Vermutungen sollen die Mörder Albaner gewesen sein, es gibt jedoch auch Gerüchte, die davon ausgehen, serbische Geheimpolizisten hätten ihre Hände im Spiel gehabt. Indem die Morde unaufgeklärt blieben, hat sich das Verhältnis der beiden Bevölkerungsgruppen in der Region weiter verschlechtert.

Mit der Blockade in Gracanica zeichnet sich immer mehr eine Bildung von serbischen Enklaven im Kosovo ab. Mit dieser Aktion verhindern die Serben, dass Albaner in ihre Stadt zurückkehren können. In Orahovac wird ein Stadtviertel durch die KFOR-Truppen gesichert, das benachbarte serbische Dorf Velika Hoca ebenfalls. In Kosovska-Mitrovica verfügen die Serben sogar über einen Korridor, der von dem „serbischen“ Stadtviertel nach Serbien führt. Über diesen Korridor werden nicht nur Waffen und Lebensmittel, sondern auch Menschen nach Mitrovica oder Serbien geführt. Die ethnischen Enklaven im Kosovo sind allen Dementis internationaler Politiker zum Trotz längst Realität geworden. Mit den serbischen Enklaven wird sicherlich die serbische Bevölkerung vor Übergriffen albanischer Extremisten geschützt.

Wichtiger noch scheint aber die Kalkulation Belgrads zu sein: Mit der Bildung serbischer Enklaven behält Belgrad einen Fuß im Kosovo. Und da die internationale Gemeinschaft weiterhin gegen die Unabhängigkeit Kosovos votiert, erscheint die Bildung ethnischer Enklaven durchaus im Sinne wichtiger Kräfte in der internationalen Gemeinschaft zu sein. Zwar haben der UN-Administrator Bernard Kouchner und auch der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Richard Holbrooke, die Bildung ethnischer Enklaven eindeutig zurückgewiesen. Der franzöische Außenminister Hubert Vedrine jedoch erklärte, für eine Übergangszeit könnte aus Sicherheitsgründen deren Bildung hingenommen werden.

In der Praxis begünstigt die KFOR die Bildung ethnischer Enklaven. Bisher wurde alles unternommen, sie zu schützen. Gleichzeitig wurden albanische Vertriebene, die in ihre Häuser zurückkehren wollten, von der KFOR daran gehindert, soweit ihr Besitz in serbischen Enklaven liegt.

Nicht alle serbischen Bewohner sind mit der Strategie einverstanden. Nach wie vor wollen viele Serben das Kosovo verlassen. Vor allem die 1995 aus der kroatischen Krajina angesiedelten Kolonisten, die keine Einheimischen sind, wie alle jene, die in gemischten Dörfern wohnen und deren Häuser durch Albaner zerstört wurden, drängen auf ihre Ausreise nach Serbien. Auch jene Männer, die als Mitglied paramilitärischer Truppen Verbrechen begangen haben. Sie trauen der „Schutzfunktion“ der Enklaven nicht. Viele Serben wollen sogar dann das Land verlassen, wenn russische KFOR-Truppen in den serbischen Enklaven stationiert würden.