Lad im Kleid

Das System Robbie Williams. Seminarvorschläge  ■ Von Felix Bayer

Mitte Oktober fängt an der Uni das Wintersemester an. Stellen wir uns aus diesem Anlass einmal vor, es gäbe dort einen Studiengang für Cultural Studies. Stellen wir uns desweiteren vor, einer der dort lehrenden Professoren böte das Proseminar „Einführung in die Popmusikstudien“ an. Die verschiedenen Themen- und Theoriekomplexe würde der Prof anhand der Analyse eines bestimmten Künstlers vorstellen wollen, Madonna zum Beispiel. Da gibt es ja auch die meiste Literatur zu.

Aber dann wäre dem Professor am 10. September beim Konzert von Robbie Williams die Idee gekommen: „Der würde sich auch eignen. Da könnten die Studierenden sich die Anwendung der Theorien selbst erarbeiten.“ Und dann wäre die erste Sitzung, Donnerstag, 18 Uhr (c.t.). Vielleicht würde sich die Vorstellung seines Seminarplans etwa so anhören: „Wer an Pop denkt, denkt meist den Begriff Popstar mit. Das Starsystem wurde zwar von Hollywood erfunden, aber man könnte behaupten, dass Pop mit dem Popstar Elvis Presley erst richtig zu wirken begann. In der ersten Sitzung wollen wir am Beispiel von Robbie Williams untersuchen, was einen Star ausmacht.“ Welche Rolle spielen zum Beispiel die Massenmedien dabei? Die zweite Sitzung steht unter dem Motto „Popstars und Fans“. Wir werden die Reaktionen auf die Auflösung von Take That analysieren und an diesem Beispiel Studien zum Fanverhalten von Teenagern betrachten.

In der dritten bis fünften Sitzung werden wir uns dann dem Popstar selbst zuwenden. Wie kann etwa die Inszenierung der Individualität des Stars den Massen zur Repräsentation dienen? Betrachten Sie, wie Robbie Williams von der Befreiung vom Einfluss des Take That-Managers singt. Finden sich darin die Hörer in ihrem Emanzipationswillen gegenüber Autoritäten wieder? Oder der Umgang mit Geschlechterrollen: Einerseits stellt Williams den Lad dar, den ungehobelten Kerl, der säuft, Fußball liebt und Dinge singt wie „Come and have a go if you think you're hard enough“. Andererseits tritt er bei Top of the Pops in einem Frauenkleid auf. All das führt zu Fragen nach dem Verhältnis zwischen öffentlicher Person und Vermutungen über die Privatperson: Wie ist es zu deuten, dass er ein Interview mit der englischen Musikzeitung NME überhastet abbrach?

In der sechsten Sitzung werden wir uns Fragen nach der latenten Homosexualität zuwenden, wie sie in Boygroups wie Take That zuweilen gesehen wird. Das hat eine interessante Geschichte in der Popmusik. Für die siebte Sitzung, die einem genaueren Blick auf Geschlechterverhältnisse im Pop dienen soll, ziehen wir zum Vergleich die Spice Girls hinzu – besonders vor dem Hintergrund sich abzeichnender Solokarrieren der einzelnen Sängerinnen.

Nach den Weihnachtsferien wenden wir unseren Blick vom spezifischen Phänomen Robbie Williams etwas ab und kommen auf globalere Themen der Popanalyse zu sprechen. Doch wenn es um „Pop als Weltmarkt“ geht, können wir einen Blick auf Williams' Bemühungen, in den USA bekannt zu werden, werfen. Wenn wir „Spezifische Orte des Pop“ betrachten, könnten die Openairfestivals ein Thema sein, bei denen Williams sich vom Image des braven Jungen befreite. Und wenn die Rede von „Zitat und Sampling“ sein wird, wird es uns nicht schwer fallen, die Verwendung von James-Bond-Symbolen in Robbies Millenium zu klären.

Die letzten Sitzungen sind thematisch bewusst noch etwas offen gehalten. Ich möchte sie nämlich darauf hinweisen, dass Robbie Williams als roter Faden durch dieses Proseminar auch für mich ein Experiment ist. Vielleicht können wir gemeinsam am Ende des Semesters feststellen, ob Robbie Williams als exemplarischer Fall für einen Popstar geeignet ist. Und wer weiß, unter Umständen bietet sich eine Exkursion zu seiner nächsten Tournee an? Für den Moment aber bitte ich Sie: Verfolgen Sie aufmerksam Williams' Werdegang. Bis nächste Woche...

mit Gay Dad: Fr, 10. September, 20 Uhr, CCH 3