Die Neuerfindung der 50er Jahre

■ Im Literaturhaus stellt Bianca Döring ihren Debütroman „Hallo Mr. Zebra“ vor

Trudie ist 19, wohnt bei ihren Eltern in einem Provinzkaff und empfindet sich als „keine rechte Frau, auch kein rechtes Mädchen, kein rechter Mensch anscheinend“. Girlie-Trouble 1999? Mitnichten, denn Trudie heißt eigentlich Gertrud, ist in Zeiten von Hitlers Kriegsrüsten geboren und die Hauptfigur in Bianca Dörings Debütroman Hallo Mr. Zebra.

„Ich wollte die Liebesgeschichte meiner Eltern schreiben“, sagt die in Berlin lebende Autorin, die 1957 geboren ist und bereits 1979 ihren ersten Lyrik-Band herausbrachte. Sie recherchierte in Archiven, befragte Zeitzeugen, und so entstand die – fiktive – Chronik der Familie Goldmann: Die zeitlebens unfrohe Kriegswitwe Augusta heiratet den Buchhalter Hieronymus und bringt ihre Töchter Trudie, die zwei Jahre jüngere Annie und ihre senile Mutter mit in die Ehe und das Häuschen auf dem Berg. Die beiden Teenager sind ätherisch schön und zutiefst verängstigt: Schwanger wird man vom Küssen, raunt Trudie ihrer Schwester zu.

Doch dieser „irre Juli“ 1956 bringt alle und alles durcheinander, denn der erste Halbstarke des Ortes hat Trudie auserkoren und nimmt sich, was er will. Im Spätsommer ist Trudie schwanger, und ihre just in greifbare Nähe gerückten Träume vom eigenen Modegeschäft zerplatzen. „Eine Mischung aus Verständnis und Mitleid“ empfinde sie für diese Figur, erklärt Döring. Aber auch die Distanz wird in den oft possenhaften Zügen des Romans deutlich. Schließlich besitze die Post-Trudie-Generation „ein ganz anderes Selbstbewusstsein“, wenngleich ihr das Schicksal der Mütter noch „in den Knochen steckt“.

Vielleicht hat sich Bianca Döring deshalb ganz „in die Geschichte hinein ziehen lassen“ und versucht, die „das Verzweifelte und Vertrackte, aber auch das Humorvolle“ zum Ausdruck zu bringen. Das gelingt Bianca Döring grandios. Immer wieder durchbricht sie die Bahn des Erzählens und beleuchtet eine andere Dimension. Dann weiten sich winzige Szenen zu surrealen Räumen, etwa wenn Augusta „wie Papst Pius persönlich“ zum Abendgebet die Treppe hinaufsteigt.

In Hallo Mr. Zebra läßt Bianca Döring, die Musik studierte und als Performance-Künstlerin arbeitet, die 50er Jahre eigensinnig neu erstehen.

So viel Melancholie in ihren Bilder manchmal stecken mag, sentimental stimmt die Lektüre nicht. Und wenn doch, hilft nur Ironie: Dann speit der Schornstein plötzlich Drachen und dazu erklingt, „sehr süß und fern, ein Gesang wie von tausend himmlischen Heerscharen.Und sang dazu nicht einer, dieser – wie hieß er noch?, ach ja, Freddy Quinn.“ Mechthild Bausch

heute, Literaturhaus, 20 Uhr