„Jugendkult nervt“

■  Barbara Mundel will in Luzern ein Dreispartentheater mit dem Geist der Freien Szene beleben. Ein Gespräch über ihre neue Heimat

„Wir wollen ganz normales Theater machen hier“, sagt Barbara Mundel und lacht. Eben redeten wir über ihre Ex-Heimat Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Die neue Heimat der Theaterleiterin heißt Luzern und umfasst rein räumlich ein Dreispartenhaus, konzeptionell ist ihr erster Spielplan mit „heimatlich.heimlich.unheimlich“ überschrieben. Ganz normales Theater? Im Vergleich zu Christoph Schingensief vielleicht schon. Doch manche LuzernerInnen fürchten tatsächlich, dass sie im Parkett nicht mehr „sittliche Kraft“ erfahren werden, und fordern, zumindest per Leserbrief, das Haus in „Experimentelle Forschungs-Kunststätte an der Reuss“ umzutaufen. Das sind viele Schimpfwörter auf einmal. Mundel und ihr junges Team, dem auch die Dramaturgin Ann-Marie Arioli angehört, verstehen sich allerdings nicht als Provokatricen. Und die jungen Erzählweisen, die das neue Luzerner Theater erwarten, lassen sich nicht über einen trendy Kamm scheren.

taz: Frau Mundel, was Sie hier in Luzern spartenübergreifend versuchen, wird schon lange diskutiert: Freie, junge Regisseure oder Minigruppen auf Zeit mit einem Haus und einem Ensemble reagieren zu lassen, vermehrt Koproduktionen, Außenproduktionen oder – wie im Tanz – Gastspiele zu machen. Spielen Sie avantgardistisch ein Modell durch und lassen sich – fernab von der Theaterbundesliga – verheizen?

Barbara Mundel: Ich nehme das hier in den Bergen nicht wahr. So haben vielleicht die Salzburger Festspiele begonnen (lacht). Nein, auch wenn jetzt viel darüber geredet wird, wer hier angereist kommen soll: Da bin ich mir nicht so sicher. Aber wenn das Publikum uns im Stich lässt, geht uns in zwei Jahren der Atem aus. Unsere größte Angst: Wir versuchen uns über diese Stadt Gedanken zu machen, und niemand will das sehen. Ob denn Theater Heute kommt oder nicht, wird erst einmal nicht über unsere Zukunft entscheiden. Und was die jungen deutschen RegisseurInnen betrifft, also Sandra Strunz, René Pollesch oder Matthias von Hartz: Diese jungen Menschen müssen endlich an einem Ort in Ruhe arbeiten können, ganz ungeachtet, ob sie aus der sogenannten Gießener Schule oder aus Hamburg kommen. Sie müssen ausprobieren können und gleichzeitig ein Publikum bedienen.

Könnte dieser Nachwuchs Ihnen nicht schnell entgleiten?

Mundel: Doch, das ist das Schicksal einer Stadt wie Luzern, das ist ein Sprungbrett. René Pollesch geht ja bereits zu Tom Stromberg nach Hamburg. Teilweise sind da Arbeiten und Menschen bei, die wir über längere Zeit mitverfolgt haben, das ist nicht nur ein bloßes Abfischen. Und wir können jetzt die Leute nicht so binden, wie wir das möchten, dazu fehlen uns die Ressourcen. Das Theater Basel hat es einfacher, da kommen auch mal Leute, weil Basel das zahlen kann. Wir können das so lange machen, wie wir über die Pflicht hinaus arbeiten, wie wir einen gewissen Idealismus ausbeuten können und die jungen RegisseurInnen schauen müssen, wo sie bleiben. Später wird das schwierig werden. Aber primär finde ich das Stadttheatermodell interessant. Unser enthusiastischer Versuch hat nun damit zu tun, zu untersuchen, was diese Strukturen noch leisten können. Denn sie sind ja zutiefst bedroht. Wenn wir nicht Produktionen wie mit der Gruppe Klara aus Basel im Casino machen würden, wenn wir auf die zehnteilige Nô-Soap-Opera verzichteten, würden wir irgendwann versacken. Kurz, es ist noch mal ein Versuch, sich selber in Bewegung zu versetzen, bevor man in Bewegung versetzt wird. Vom Finanzdirektor nämlich.

Einerseits schielt das ästhetische Programm auf einen größeren Markt, andererseits vermittelt die Spielzeitüberschrift viel Lokales. Bedienen Sie da nicht zu viel auf einmal?

Ann-Marie Arioli: „heimatlich.heimlich.unheimlich“ ist eine sehr offene Überschrift. Es geht nicht nur um Luzern als mögliche Heimat, obwohl Luzern gerade zu unserer Heimat wird. Auch der Blick auf fremde Heimaten spielt eine Rolle, etwa auf Japan. Wir möchten das nicht auf Luzern einengen, sondern auf die Schweiz ausdehnen, da findet die Auseinandersetzung in dieser Spielzeit sehr stark statt. Bei „Frost“, einer Dramatisierung des ersten Romans von Thomas Bernhard, thematisch, weil es um eine Berglandschaft geht, das ist ein Klima, das nicht so sehr österreichisch als alpenländisch geprägt ist. Auch Klara fragt in „Mehr Geld“: Wie geht man in der Schweizer Wohlstandsgesellschaft mit Geld um? Und Ruedi Häusermanns „Erste große Menschenausstellung zur Jahrtausendwende – Nur Einheimische“ ist das Schweizer Projekt schlechthin (lacht). Schließlich heißt Heimat auch, einen Ort für Vernetzung zu schaffen.

Mundel: Genau diesen Freiraum zu kommunizieren, dies der Stadt klarzumachen, das ist nicht einfach. Wir stoßen auf viel Bereitschaft, aber auch viel Skepsis im Sinne von: Ich finde es ja gut, aber „der Luzerner“... tja. Wir wundern uns, wer denn dieser „Luzerner“ überhaupt ist.

Ann-Marie Arioli und Viola Hasselberg, die beiden Schauspiel-Dramaturginnen, sind um die 30. Trotzdem scheinen Sie Jugendkult im Programm zu vermeiden. Auch die Regiekonzeption nimmt sich eher pluralistisch aus: Es gibt VertreterInnen der projektlastigen Hamburger-, der performanceorientierten Giessener Schule und Leute aus dem textinteressierten Berliner Umfeld. Hätten Sie die Jugendkarte in einer größeren Stadt flashiger ausgespielt?

Arioli: 30 zu sein ist für mich kein Thema. Klar, Viola und ich haben vielleicht uns eigene Verständigungsweisen, das ist aber schon alles.

Mundel: Jugendkult nervt mich total, ätzend! In einer Gesellschaft, die vergreist, ist das geradezu lächerlich. Gut, in bestimmten Theatern langweile ich mich mehr als in anderen, und oft sehne ich mich nach einer größeren Zeitgenossenschaft, aber deswegen muss es ja nicht gleich Performance-Theater sein. Logisch wollen wir ein junges Publikum ins Theater holen, aber das ist etwas ganz anderes. Ob man das über Popmythen macht oder indem man sich stärker der Popindustrie angleicht, weiß im Moment ja kein Mensch. An der Volksbühne in Berlin war das Spannende auch nicht ein einzeln poptheoretischer Ansatz, sondern das zeitweilige Nebeneinander von unterschiedlichsten Leuten wie Marthaler, Castorf, Häusermann und Schlingensief. Mit Pop hatte das gar nichts zu tun.

Arioli: Wir wollen Zeitgenossenschaft nicht einfach ausstellen, sondern übersetzen. Jetzt muss es Klara halt gelingen, ein Faxgerät zu theatralisieren (lacht).

Interview: Tobi Müller