Über ihre Leiden wollen sie nur schweigen

■ Auf dem ehemaligen Gelände des Flugzeugbauers Heinkel in Germendorf trafen sich 12 ehemalige polnische Zwangsarbeiter. Beachtung fanden sie kaum – der Bürgermeister schickte Stellvertreter

Ein Flugzeughalle in Annahof-Oranienburg. Hier haben im Dritten Reich die Heinkel-Flugzeuge ihren letzten Schliff bekommen, um im Krieg zu glänzen. Weniger glanzvoll waren die Arbeitsbedingungen für die polnischen Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. 2.000 waren ständig im Einsatz, um Hitlers Rüstungsmaschinerie in Gang zu halten. Am Mittwoch kamen zwölf von ihnen nach 55 Jahren auf Einladung der Berliner Geschichtswerkstatt, die seit fünf Jahren die Geschichte der Zwangsarbeiter in Berlin erforscht, wieder in Oranienburg zusammen.

Annahof, das ist heute ein Kalkstein-, Sand- und Kieswerk. Nur noch Reste der Einfliegehalle und der Schießstand stehen noch. Früher standen hier noch das „Heinkel Werk II“ und ein Gemeinschaftslager. Überall liegen Scherben. Auch in der Halle ist alles verfallen. Nur wenig erinnert an die harte Arbeit, die hier geleistet wurde. In kleinen Gruppen schlendern die Polen umher. Technische Details erzählen sie auf Nachfrage gern. Stolz schwingt in ihren Stimmen mit. Sie hätten hier gut gearbeitet. Ihre Leiden und das erlebten Grauen verschweigen sie.

Ihr Leiden half Heinkel. Im Nationalsozialismus konnte er mit dieser „staatlichen Unterstützung“ expandieren. Möglich war das nur mit billigen Arbeitskräften. Das Heinkel Werk wurde zum Außenlager des KZ Sachsenhausen mit 6.000 Häftlingen. Wer noch arbeiten konnte, musste an Flugzeugen schrauben. Geschadet hat Heinkel die Ausbeutung tausender von Menschen nicht. Nach dem Krieg baute er in Stuttgart Kabinenroller und bald auch wieder Flugzeuge – diesmal für die noch junge Bundeswehr. Ein Journalist fragt nach Entschädigungen. Keiner von ihnen habe bisher irgendetwas bekommen, was das Geschehene erträglicher hätte machen können: „Wir sind alte Menschen, wir werden immer weniger und erwarten, dass das Entschädigungsproblem so bald wie möglich geklärt wird.“

Auf dem kleinen Friedhof in Germendorf bei Oranienburg ist die Erinnerung wieder da. Bei Erdbauarbeiten auf dem Heinkel-Gelände fand man in den letzten Jahren Gebeine von 32 Zwangsarbeitern. Sie wurden auf diesem kleinen Friedhof bestattet. Vor der Gedenktafel legen die ehemaligen Leidensgenossen einen Kranz nieder und beten mit dem Germendorfer Pfarrer. Später in der Kirche wollen sie Jugendlichen aus der Umgebung ihre Geschichte erzählen. Wie sie im Wald der Hinrichtung eines jungen Polen beiwohnen mussten, der angeblich ein Verhältnis mit einem deutschen Mädchen hatte. Dass es täglich nur 125 Gramm Brot gab für jeden. Dass bei Verstößen gegen die Vorschrift stets Bestrafung wegen Sabotage oder das KZ drohte.

Nur etwa ein Dutzend junge Menschen sind gekommen. Sie bleiben nicht lange. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte fällt manchmal schwer. Nicht nur den Jungen. Der Bürgermeister schickte seinen Stellvertreter, ein Grußwort zu sprechen. Horst Granschow gab sich alle Mühe: „Wie mir überliefert wurde, kennen sie Oranienburg ja schon aus früheren, nicht so glücklichen Tagen. Die Zeiten zwischen 33 und 45 sind an uns allen ja mit großen Schrecken vorbeigegangen.“

Vorher, im Schloss Oranienburg, besichtigen die 12 Herren aus Poznan in Polen die Ausstellung „Onder de Oranje Boom“ über niederländische Kunst an deutschen Fürstenhäusern im 17. und 18. Jahrhundert. Aleksander Wesolowski interessiert das wenig. Sie heben einen Haufen vergilbter deutscher Bürokratie auf den Plastiktisch des Ausstellungscafés. Den Mietvertrag für einen Schlafplatz in der Baracke etwa: 10 Mark im Monat für Nr. 81169, einen Lager- und einen Arbeitsausweis, auch eine Kontrollmarke für die Werkzeugausgabe. Wesolowski hält sich ein kleines Pappschildchen an die rechte Brust. Es ist das lila „P“ für Pole auf gelbem Grund, das sie sich damals an die Brusttasche nähen mussten.

Die polnischen Gäste bedanken sich überschwenglich und loben das renovierte Schloss. Man gibt zum Schluss versöhnliche Erinnerungen preis: Da waren etwa die beiden Berliner Mädchen. Bei ihnen durften sie den polnischen Dienst der BBC hören. Oder Doktor Schmidt, der einen schwer verletzten Finger gerettet hat. Dazu gab es einen Laib Brot – geschenkt. Cornelia Siebeck/tde