Kuchenbacken statt Gebären

Die Leute aus der Werbebranche sind die Verführer der Nation. Bei ihnen – das weiß man schon lange – finden Marktwirtschaft und Manipulation zu unheilvoller Einheit. Die Erkenntnis, dass Werbeslogans auch kulturelle Entwicklung spiegeln, setzt sich hingegen erst allmählich durch. Jüngst erschien ein Lexikon der Werbesprüche. Eine Besprechung von Holm Friebe

Ein Pfarrer in Halberstadt hat kürzlich die Probe aufs Exempel gemacht: Unter dem Motto „Jona oder Cola?“ ließ er die Besucher des Sonntagsgottesdienstes Werbe- und Bibelsprüche notieren. Heraus kam eine deutliche Mehrheit für Bibelsprüche. Der Pfarrer wars zufrieden.

Doch es besteht der begründete Verdacht, dass sich derartige Ergebnisse nur noch nach dem rigiden Auswahlverfahren „Gottesdienstbesucher in der Provinz“ erzielen lassen. In der Gesamtbevölkerung dürfte die Imprägnierung durch Werbung längst dominieren. Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder paraphrasierte nach der Schlappe seiner Partei bei den Europawahlen nicht etwa einen Bibelspruch, sondern einen Autowerbeslogan: „Wir haben verstanden.“

Gleichwohl scheint der Beschäftigung mit Werbung immer noch etwas Unschickliches oder gar Unredliches anzuhaften. Über Werbung spricht man nicht, und wenn, dann herablassend. Schon in den zwanziger Jahren brandmarkte der englische Ökonom Alfred Marshall Werbung, die nicht allein dem Informationszweck dient, als social waste, was so viel meint wie Ressourcenverschwendung. 1965, als Werbung längst nicht mehr bloße marktschreierische Reklame war, konstatierte der Altvater der deutschen Betriebswirtschaftslehre Erich Gutenberg: „Dass die Konkurrenzwerbung nicht frei von Exzessen ist, die aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ästhetischen Gründen abzulehnen sind, lehrt die tägliche Erfahrung.“ Hier scheint jene zweite Kritiklinie durch, die hinter der verzichtbaren, aber scheinbar harmlosen Scharlatanerie stets planmäßig kaschierte Demagogie vermutet.

Bereits einige Jahre früher hatte Vance Packard in seinem Bestseller „Die geheimen Verführer“ Alarm geschlagen. Die Branche bereite den „Griff nach dem Unbewussten in jedermann“ vor, lautete die Warnung. Anlass boten Recherchen von Packard, wonach sich amerikanische Werbeagenturen vermehrt der Tiefenpsychologie bedienten. So war man etwa zu dem dubiosen Ergebnis gekommen, dass Kuchenbacken bei Frauen eine Kompensationshandlung für das Nicht-mehr-Gebären-Können sei, und konnte die Werbung darauf abstellen. Auch mit subliminaler Werbung, die in nicht bewusst wahrnehmbaren Einzelbildern direkt auf die unterbewusste Psyche einwirken sollte, wurde seinerzeit experimentiert.

Der westdeutschen Linken brauchte man nicht zweimal erklären, dass darin die Marxsche These vom Fetischcharakter der Waren eine unheilige Allianz mit Orwells Vision von „1984“ einging. Auch bei der Restbevölkerung dürfte das Ansehen des Berufsstands „Werber“ lange Zeit weit unter dem von Gebrauchtwagenhändlern rangiert haben.

Wenig beeindruckt von derlei öffentlichen Anfeindungen wuchs und gedieh die Branche unaufhaltsam – bis zu einem heutigen Jahresumsatz von zirka vierzig Milliarden Mark. Auch wenn sich im Lauf der Zeit die Theorie von den unterschwelligen Einzelbildbotschaften als Unfug erwies, konnten Kulturpessimisten in der zunehmend „emotionalisierten“ Werbung der siebziger Jahre ein untrügliches Indiz für die Idiotisierung der Gesellschaft erkennen.

Während jenseits des Atlantiks von der Pop Art erste Schneisen für die künstlerisch-intellektuelle Adaption und Affirmation der Werbewelt geschlagen wurden, hielt sich hierzulande die apokalyptische Paranoia etwa die Waage mit ästhetischen Unbehagen und einer gleichgültigen Geringschätzung, ausgehend von der falschen Prämisse, dass Werbung, wenn man sie nur nach Kräften ignorierte, auch keine Wirkung entfalten könne.

Dass mit der Aktivität der Branche inzwischen auch der von ihr produzierte und popularisierte Zeichenvorrat im kollektiven (Unter-)Bewusstsein zu einer nicht mehr zu leugnenden Größe angeschwollen war, blieb dabei meist ausgeblendet. Wolfgang Pauser, der mit seinen Werbekolumnen in der Zeit als einer der ersten einen unvoreingenommenen kulturwissenschaftlichen Blickwinkel anlegte, fasste Anfang der neunziger Jahre zusammen: „Vom aufgeklärten deutschen Normalbewusstsein wird Werbung entweder als leerer Schein zu übersehen und abzutun versucht oder aber als magische Verführungskraft dämonisiert. Die eine Haltung ist so falsch wie die andere.“ Stattdessen mahnte Pauser eine akkurate Analyse der Oberfläche an, die bereits alle Geheimnisse der Werbung berge: „Nicht eine geheime böse Machtzentrale ist hinter den schönen Fassaden zu entdecken, sondern im Gegenteil die viel eher bestürzende Erkenntnis, dass der Ort des Steuermannes leer ist.“

Langsam, aber merklich scheint sich in jüngster Zeit der propagierte Paradigmenwechsel zu vollziehen, wenn sich sogar der Vordenker der Poplinken Diedrich Diederichsen in seinem Buch „Der lange Weg nach Mitte“ zu der Bemerkung hinreißen lässt, Werbung könne „immer wieder auch ganz andere Effekte hervorrufen als die, die das kritische Bewusstsein pessimistisch von ihr erwartet.“

Obwohl dieser Zweig der Alltagskultur qua schierer Größe und – logisch! – Medienpräsenz eine enorme Definitionsmacht und Breitenwirkung ausübt, ist das Terrain der Werbung empirisch-kulturwissenschaftlich noch weniger sondiert als andere Phänomene der U-Kultur, etwa der Comic. Allein die Tatsache, dass Werbeslogans – nicht immer, aber immer öfter – die geflügelten Worte der Neuzeit sind und vom allgemeinen Sprachgebrauch als solche absorbiert und transformiert werden, harrt noch ihrer sprachwissenschaftlichen Kanonisierung.

Als empirische Basis könnte jetzt immerhin das jüngst bei Eichborn erschienene „Lexikon der Werbesprüche“ dienen. In respektabler Fleißarbeit hat der Autor Wolfgang Hars fünfhundert der bekanntesten deutschen Werbesprüche zusammengetragen, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichten recherchiert und in anekdotischer, manchmal etwas zu flapsiger Form wiedergegeben. Indem Hars wo möglich die bis dato oft anonymen Schöpfer hervorhebt, macht er deutlich, dass eine spezielle Begabung dazu gehört, einen klassischen Slogan in die Welt zu stemmen. Zu nennen wäre etwa Margot Müller, die 1968, gerade 23-jährig zur Texterin aufgestiegen, den lässigen Deutsche-Bahn-Knüller „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ erfand. Obwohl nur einmal geschaltet, wurde der Spruch sofort von der APO aufgegriffen und unterlief bis heute unzählige Mutationen.

Aber noch etwas anderes wird in der Gesamtschau der Highlights deutschen Werbetextens deutlich, nämlich, wie sich von den unbeholfenen Anfängen bis heute ein eigenes, wenn man so will: „literarisches“ Genre herausgebildet hat, das einerseits auf Gedeih und Verderb der Akzeptanz durch das Publikum ausgeliefert ist, andererseits immer wieder das nie dagewesene „Neue“ hervorbringen und austesten muss. Die anfänglich beschauliche „Industrielyrik“, vom Endreimgedicht herkommend, konnte angesichts der raumgreifenden „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Georg Franck) nicht bestehen und musste dem irritierenden Wortspiel, der irisierenden Mehrdeutigkeit und dem pointierten Gag weichen. So wurde aus „Fünf Mark die Woche musst du sparen – willst du im eigenen Wagen fahren!“ im Laufe der Jahre das auf den ersten Blick kryptische „Ford. Die tun was.“ Die einzige Spielregel, die sich in dem rückgekoppelten Lernprozess zwischen Werbemachern und Publikum etabliert hat, lautet, um mit Volvo zu sprechen: „Alles, bloß nicht langweilig.“

So lässt sich eine Ausdifferenzierung der Stilformen beobachten, die, immer die entsprechende Zielgruppe vorausgesetzt, bis hin zur Selbstironie reicht. Ein Spruch wie „Ente geleast. Kotelett gekauft“ für den Relaunch des Citroän 2 CV aus dem Jahre 1988 wäre vom Publikum der sechziger Jahre wohl kaum verstanden oder gargoutiert worden. Nicht allein die Tatsache, dass 1995 bei einer Malaktion in Bayern ein Drittel der Schüler die verlangte Kuh lila ausmalten, lässt den Schluss zu, dass die deutsche Nachkriegsmentalität mehr von Clementine und dem Melittamann, von Herrn Kaiser und Frau Antje geprägt ist als von Willy Brandt und Konrad Adenauer.

Ein Fehler ist dem Autor bei der Recherche allerdings doch unterlaufen. Die bekannte Außenreklame eines Berliner Optikers „Sinds die Augen, geh zu Runke!“ stammt keineswegs aus den fünfziger Jahren, sondern ist schon in Döblins „Berlin Alexanderplatz“ von 1929 dokumentiert, was gleichzeitig noch mal ein Indiz dafür liefert, wie eng Werbung und Literatur miteinander verschränkt sind.

Holm Friebe, 27, Journalist und Diplomvolkswirt, studiert Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin