Das Leben der Landfrauen

Die eigene Version der Geschichte: Erstmals widmete sich die Buchmesse in Harare der Rolle afrikanischer Frauenliteratur im Transformationsprozess  ■   Von Rita Schäfer

„Frauenstimmen Gehör verschaffen“ war das Motto der diesjährigen internationalen Buchmesse in Harare, Simbabwes Hauptstadt. Aus allen Teilen des Kontinents kamen Schriftstellerinnen zusammen, um über ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel zu diskutieren. Es war das erste Mal, dass sich die Messe dem Schwerpunkt afrikanische Frauenliteratur widmete. Aber die Autorinnen reflektierten auf den zahlreichen Podien nicht nur ihre Schwierigkeiten auf dem afrikanischen Buchmarkt. Vielmehr betonten sie selbstbewusst die Rolle, die Frauenliteratur im sozialen Transformationsprozess spielen sollte.

Hierbei umfasst der Begriff Literatur, wie er in Harare diskutiert wurde nicht nur die Werke international bekannter Schriftstellerinnen und ihre ambitionierte Beschäftigung mit der Situation weiblicher Intellektueller, sondern auch einfach geschriebene Lebensgeschichten von Landfrauen, die vorrangig dokumentarischen Charakter haben. Exemplarisch für die intellektuelle Variante ist der Roman „Nervous Conditions“ (dt. „Der Preis der Freiheit“), das in Englisch verfasste Erstlingswerk der simbabwischen Autorin Tsitsi Dangarembga. Dieser Roman, der die Bildungsprobleme von Frauen während der Kolonialzeit thematisiert und heute in vielen simbabwischen Schulen gelesen wird, wurde jahrelang von männlichen Kritikern abgelehnt. „Sie betrachteten die Bildungssituation von Frauen als unwichtiges Thema.“ Machtfragen im Befreiungskampf seien für die nachkoloniale Gesellschaft wichtiger, bekam die Autorin oft zu hören.

„Tatsache ist, dass sich viele Frauen in Simbabwe aktiv am militanten Kampf beteiligten, um ihre eigene Lebenssituation zu verbessern“, erläutert Tsitsi Dangarembga. Als die seit einigen Jahren in Berlin lebende Autorin bereits kurz nach der Unabhängigkeit die innergesellschaftlichen Widersprüche darstellte und dabei insbesondere die Situation junger Frauen problematisierte, brach sie Tabus in ihrem Heimatland.

Der Frage, inwieweit Bildung eine Ressource ist, mit der Frauen ihre Lebenssituation verändern können, widmet sich auch Nozipo Maraire in ihrem eindrücklichen Briefroman „Zenzele, A letter for my daughter“. In diesem autobiografischen Werk lässt die Autorin – im Hauptberuf in den USA ausgebildete Chirurgin – ihre Leser an den Hoffnungen einer Mutter teilhaben, deren Tochter während der ersten Jahre nach der Unabhängigkeit zum Studium in die USA geht. Der Autorin gelingt der Spagat zwischen einer kritischen Stellungnahme zu den Traditionen und Brüchen in der simbabwischen Gesellschaft und ihrem Stolz auf die eigene Herkunft.

Inzwischen gibt es in Simbabwe zahlreiche Frauenorganisationen, die mit innovativen Projektansätzen in der Bildungsarbeit neue Weichen stellen. Thoko Mashe, Mitarbeiterin des bedeutendsten Frauennetzwerkes im Land, erläuterte die Basis dieser Maßnahmen: „Um Geschlechterungleichheit zu überwinden, ist es notwendig, dass Bildungsprogramme an die Erfahrungen von Frauen anknüpfen und ihnen neue sozio-ökonomische Handlungsspielräume eröffnen.“

Für einen Strukturwandel im Bildungswesen plädierte Ama Ata Aidoo, eine der bedeutendsten Autorinnen Westafrikas: „In meinen Büchern hinterfrage ich die lokalen Geschlechterstereotypen. Mit den Theaterstücken will ich auch Menschen ohne Schulbildung ansprechen.“ Als Bildungsministerin in ihrem Heimatland Ghana hat sie versucht, positive Identifikationsmöglichkeiten für Mädchen zu verbreiten. Hierzu sollten veränderte Frauenbilder in Schulbüchern und Reformen des Bildungswesens beitragen. Sie musste jedoch vorzeitig aus ihrem Amt zurücktreten, weil die anderen Regierungsvertreter diesen Strukturwandel ablehnten. Jetzt arbeitet sie als Autorin und Literaturwissenschaftlerin weiterhin für die Umsetzung ihrer Ziele.

Zur politischen Lobbyarbeit rief auch die südafrikanische Autorin Sindiwe Magona ihre Kolleginnen auf. Weil sie heute für die UN Entwicklungsprozesse in Südafrika koordiniert, ist ihr die Förderung der Frauenbildung ein besonderes Anliegen. „In meiner eigenen Biographie habe ich erfahren, wie wichtig Bildung als Schlüssel zur Lebensverbesserung sein kann. Nach harten Jahren als Hausangestellte und alleinerziehende Mutter ermöglichte mir die Ausbildung in Abendschulen erstmals berufliche Perspektiven.“

Da Südafrika in diesem Jahr den Länderschwerpunkt der Buchmesse bildete, widmeten sich viele Diskussionen dem dortigen gesellschaftlichen Wandel. Zwar erkennt die neue südafrikanische Verfassung Frauenrechte in weltweit einzigartiger Weise an, deren Umsetzung ist jedoch ein langwieriger Prozess. Miriam Moleleki, Bäuerin und Autorin aus Südafrika, veranschaulichte den Beitrag, den Bildung und schriftliche Ausdrucksformen hierzu leisten können: „Mit dem Niederschreiben meiner Biographie gelang es mir, die Traumatisierungen während der Apartheitszeit aufzuarbeiten.“

Während der Umbruchphase in Südafrika begannen viele Landfrauen, ihre eigenen Erfahrungen zu reflektieren und als Lebensgeschichte niederzuschreiben. So entstanden Biographien in englischer, afrikaanser und der Zulu-Sprache – entsprechend den Sprachkenntnissen jeder einzelnen Frau. Auf diesem Wege verschaffen diese Frauen, die als Homeland-Bewohnerinnen stets zum Schweigen verurteilt waren, ihren Stimmen Gehör und erzählen selbstbewusst von ihrer Version der Geschichte.