Im Reich der Skandale

■ Sex und Welt: Catherine Breillats „Romance“ auf dem Filmfest

Sie liebt ihn, doch er will sie nicht vögeln; er will einfach nicht, das ist dann so.

Sie geht auf die Straßen und sucht einen, der gut im Bett ist, damit sie ihn weiter lieben kann. Auf ihrer Odysee trifft sie mehrere Männer – und irgendwann auch endlich jenen, den sie, scheint's, die ganze Zeit gesucht hat, ihren „Meister“ – buchstäblich. Er unterwirft sie sich, ganz selbstverständlich, er macht kein großes Theater um seine Macht, sein Können, und doch ist er ihr Diener: Es ist dieses Spiel von Herrschen und Beherrschen zwischen zwei Gleichen, und die unspektakulär-nonchalante Selbstvergessenheit, mit der er es meistert, die sie schließlich zu ihm hinzieht.

Catherine Breillats Romance hatte schon den Ruf eines „Skandalfilms“, als ihn noch keiner gesehen hatte. Das lag wohl nur an einer, während der Dreharbeiten wohlgehüteten Information: Porno-Star Rocco Siffredi spielt eine der Hauptrollen – den Rest konnte man sich ausmalen, wenn man sich daran erinnerte, daß Nagisa Oshimas Ai no korida / Im Reich der Sinne (1976) Breillats erklärter Lieblingsfilm ist.

Abgesehen von ihrem Policier Sale comme un ange (1991) drehen sich ihre fünf weiteren abendfüllenden Spielfilme alle in erster Linie um ein Thema: Frauen, die auf die Erfüllung ihrer nicht zuletzt sexuellen Bedürfnisse bestehen. Alter spielt dabei keine Rolle: Ihr Erstling Une vrai jeune fille (1976) sowie 36 Fillette (1987) beschäftigen sich mit pubertierende Mädchen, Tapage Nocturne (1979) sowie Romance haben als Hauptfiguren Frauen Anfang dreißig, während schließlich im Zentrum von Parfait amour! (1996) eine Frau in den Vierzigern steht.

Was diese Filme für viele ideologisch so schwer verdaulich macht, ist, dass Catherine Breillat dieses Bedürfnis ihrer Figuren nicht theoretisiert, sondern es ganz selbstverständlich und beiläufig als Ausgangspunkt ihrer Geschichten nimmt, und nirgendwo tut sie dies nachdrücklicher als in Romance. Einen archetypischen Erzählbogen gibt es hier nicht: Wie in jedem Porno besteht die Handlung aus einer Abfolge von sexuellen Akten aller Art – das ist aber auch schon die einzige Ähnlichkeit mit diesem populärsten Genre des Videomarkts.

Catherine Breillat gelingt, wovon die bürgerliche Filmkritik zu glauben scheint, dass das gar nicht ginge: Sie erzählt eine Geschichte durch sexuelle Begegnungen und findet dabei ein schönes, sehr menschliches Pathos in den erregten Körpern. Wichtig ist dabei, wie immer im Kino, was sie zeigt und was nicht und wie. Es heißt zwar häufig, dass man in Romance „alles“ zu sehen bekäme, doch das stimmt einfach nicht: Es gibt ,Sachen', die direkt, und ,Sachen', die indirekt gezeigt werden, abhängig davon, was gerade in diesem Augenblick wesentlich ist. Die Präsentation der Akte hat ihre Bedeutung, sie ist nie selbstzweckhaft.

Catherine Breillat nimmt Sex ernst – als ein Ausdruck unseres Verhältnis zur Welt und anderen Menschen. Was so moralisch klingt wie's gemeint ist. Catherine Breillat ist nämlich eine hochmoralische Filmemacherin. Olaf Möller

Sa, 2.10., 22.30 Uhr, Zeise 2