Guildo hat etwas gegen Gelbsucht

Take Care“ heißt die PR-Kampagne, mit der Schüler dazu überredet werden, sich gegen Hepatitis B impfen zu lassen. Finanziert wird die umstrittene Werbeaktion von dem Impfstoffhersteller  ■   Von Danièle Weber

Finanziert wurde die Agentur sowie die gesamte Kampagne vom Impfstoffhersteller SmithKline Beecham

Es ist nicht nur wichtig, sondern auch verdammt einfach.“ Der „Meister“, macht's vor: Eine Hepatitis-Impfung tut nicht weh und ist dazu umsonst. Und mit etwas Glück springt neuerdings sogar ein Gratis-Konzert mit Guildo Horn, DJ Bobo oder den Moffats dabei raus. „Take Care“, die groß angelegte Kampagne, die in den letzten Monaten in Deutschlands Schulen lief, macht's möglich. „Lasst Euch impfen“, steht auf den Postern am schwarzen Brett und: „Überzeugt möglichst viele MitschülerInnen von der Wichtigkeit einer Hepatitis-Impung“. Denn nur Schulen, in denen 50 Prozent der SchülerInnen einen ausgefüllten Impfpass vorweisen können, dürfen an der Verlosung der Live-Konzerte teilnehmen.

„Im Rahmen von Take Care haben sich 30.000 Schüler impfen lassen“, Jean Monks von der Agentur „Monks Produktion“, die für die Kampagne zuständig war, ist zufrieden. Insgesamt 18 von 2.000 Schulen, die teilgenommen haben, werden in den Genuss eines Gratiskonzertes kommen. Eine Aktion ganz im Sinne der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Bis 2005, so die WHO-Devise, soll Hepatitis B durch Impfung ausgerottet werden.

Weltweit sterben jedes Jahr über eine Million an der Infektionskrankheit. Wie groß das Problem in Deutschland ist, kann nur geschätzt werden. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Je nach Hochrechnung werden 30.000 bis 50.000 Neuinfektionen pro Jahr und 1.000 bis 2.000 Todesfälle genannt. Offiziell registriert sind allerdings weitaus weniger: Beim Statistischen Bundesamt wurden in den vergangenen Jahren rund 6.000 Erkrankte und 200 Todesfälle gemeldet.

„Nicht jede Hepatitis-Infektion wird als solche erkannt und ordnungsgemäß gemeldet“, erklärt Gernot Rasch vom Robert-Koch-Institut (RKI), der für Infektionskrankheiten zuständigen Bundesbehörde, diesen Unterschied. Schuld daran ist vor allem der Krankheitsverlauf: Rund 80 Prozent der Infizierten zeigen keine Symptome oder erkranken nur leicht. Einige von ihnen werden zu „gesunden Virusträgern“. Nur 20 Prozent werden so krank, dass tatsächlich Hepatitis B diagnostiziert wird. Meist beeinträchtigt das Virus, das in mehreren Varianten auftritt, die Funktionen der Leber. Es kommt zu einer Gelbsucht, in einigen Fällen wird das lebenswichtige Entgiftungsorgan nach und nach durch Krebs zerstört.

Impfungen gibt es bislang nur gegen die harmlosere Variante A und die gefährlichere Hepatitis B. Während sich Hepatitis A direkt über Atemwege, Lebensmittel oder Trinkwasser überträgt, ist das Risiko, sich mit Hepatitis B zu infizieren, deutlich geringer. „Am häufigsten erfolgt die Ansteckung durch sexuelle Kontakte“, so Rasch, „besonders gefährdet sind auch Heroinabhängige.“ Zudem können infizierte Mütter ihr Kind bei der Geburt anstecken. Eigentlich, so Rasch, sei die Ansteckungsgefahr für kleine Kinder im Alltag eher gering. Doch: „Wir streben an, die Bevölkerung durchzuimmunisieren“, erläutert Rasch die deutsche Impfstrategie. Der WHO-Empfehlung, alle Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche gegen Hepatitis B zu impfen, ist auch die „Ständige Impfkommission“ (Stiko) am RKI 1996 gefolgt.

In der Praxis sind allerdings noch einige Details zu klären: Seit 1986 wird ein Stoff eingesetzt, der auf gentechnologischem Weg aus der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae hergestellt wird. Dieses „Hepatitis-B-Oberflächenantigen“ löst im Körper die Bildung entsprechender Antikörper aus. Wie lange die Immunisierung anhalten wird, ist derzeit noch unklar. „Wir gehen davon aus, dass eine Hepatitis-Impfung zehn Jahre wirksam ist“, sagt Rasch. Ob die Impfung bei einem Kind, das bereits als Säugling geimpft wurde, noch einmal aufgefrischt werden muss, könne man zur Zeit noch nicht sagen. Gernot Rasch: „Das wissen wir erst, wenn wir auf eine längere Anwendungszeit zurückblicken können.“

Dafür, die Impfung im Kindesalter durchzuführen, spricht die finanzielle Seite dieses freiwilligen Gesundheitsschutzes: Die meisten Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Hepatitis-Impfung bis zum Alter von 18 Jahren. Erwachsene hingegen müssen die drei erforderlichen Impfdurchgänge à 120 Mark selbst bezahlen. „Wir wollten deshalb mit Take Care vor allem Kinder und Jugendliche erreichen“, sagt Jean Monks und erklärt, dass in diesem Fall eine besondere Art von Joint Venture zustande kam: Monks Produktion entwickelte Take Care auf Anregung der Stiko, finanziert wurde die Agentur sowie die gesamte Aktion vom Impfstoffhersteller SmithKline Beecham.

Dass in den meisten Bundesländern entweder Gesundheits- oder Sozialministerien als Unterstützer dieser PR-Kampagne fungierten, störte dabei niemanden. „Wir haben den Schulen keine Anweisungen gegeben“, erklärt Brigitte Waltenberger, stellvertretende Sprecherin im bayrischen Kultusministerum, „die Schulen haben eigenständig entschieden.“ Man habe das Infomaterial eingesehen und für gut befunden. Bei näherer Betrachtung fällt allerdings auf, dass in den jugendlich-peppigen Slogans der Broschüren und Web-Seiten stets mit dem höchsten Maß gemessen wird: Ob Krankheitsausmaß oder Anstekkungsgefahr, für Sponsor SmithKlineBeecham darf's in der Aufklärungsarbeit ruhig „ein bisschen mehr sein“.

Aussagen wie „Hepatitis kann nicht oder nur selten mit Medikamenten geheilt werden“ werden nicht etwa dadurch ergänzt, dass mehr als 95 Prozent der Infizierten sich ohne bleibende Schäden erholen. „Mit Take Care verstößt SmithKline Beecham gegen das Heilmittelwerbegesetz“, protestiert Angelika Kögel-Schauz von der „Interessengemeinschaft Eltern für Impfaufklärung“ Mitte September auf dem „2. Kongress der Impfkritiker“ in Stuttgart. Laut diesem Gesetz ist Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur in Fachkreisen erlaubt.

„Außerdem wird zu wenig auf mögliche Nebenwirkungen hingewiesen“, so Kögel-Schauz. Im Beipackzettel des gängigen Impfstoffes Engerix B von SmithKline Beecham werden neben häufigen Rötungen oder Schwellungen an der Injektionsstelle auch seltene, schwerwiegendere Komplikationen erwähnt. Meist handelt es sich um Allergien oder Beeinträchtigungen des Nervensystems.

Solche Fälle sind inzwischen in der Fachliteratur weltweit dokumentiert. Für Aufregung sorgte eine Entscheidung des damaligen Staatssekretärs des französischen Gesundheitsministeriums, Bernard Kouchner: Im Oktober 1998 stoppte Kouchner die vorher systematisch in Schulen durchgeführte Hepatitis-Impfungen. Der Grund: Neue Studien hatten die Impfung in Zusammenhang mit Multipler Sklerose (MS) gebracht. Zwar hätten die Untersuchungen, so Kouchner, keinen kausalen Zusammenhang zwischen Impfung und Krankheit herausgefunden. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Menschen, die unter MS leiden, nach der Impfung zu einem erneuten Krankheitsschub kommt.

Im vergangenen Jahr hatte das Gericht von Nanterre in zwei Fällen die Herstellerfirmen SmithKline Beecham und Pasteur-Mérieux zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Für die Richter galt es als erwiesen, dass zwei der Klägerinnen aufgrund der Impfung an MS und eine weitere an der Guillain-Barré-Krankheit erkrankt seien. Insgesamt sind in Frankreich und Belgien weitere 50 Prozesse gegen die Impfstoffhersteller anhängig. Den beiden Urteilen, die sich auf wissenschaftliche Gutachten stützten, stehen andere Untersuchungsergebnisse gegenüber. „Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Hepatitis-Impfung und Multipler Sklerose“, so das Fazit einer groß angelegten epidemiologischen Studie in den USA, deren Ergebnisse die Neurologische Klinik der Berliner Charité Anfang September bekannt gab. In den Daten von über 100.000 AmerikanerInnen waren in der Häufigkeit der Multiple-Sklerose-Fälle keine Unterschiede zwischen Geimpften und Ungeimpften festgestellt worden. Einen regelrechten Rüffel bekam Bernard Kouchner von der WHO, die ihre weltweite Kampagne in Gefahr sah. „Es gibt keine wissenschaftliche Begründung, Hepatitis-B-Immunisierungen zu suspendieren“, so die WHO in einer Presseerklärung.

Wie oft es inzwischen in Deutschland nach einer Hepatitis-B-Impfung zu so genannten „unerwünschten Arzneimittelwirkungen“ (UAW) kam, ist schwer herauszufinden. Zuständig für solche Fragen sowie für die Zulassung der Impfstoffe ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen. Seit 1988 sind deutsche Ärzte laut Musterberufsverordnung zur Meldung von UAW verpflichtet. Das passiert im Idealfall“, sagt Susanne Stöcker vom PEI, „eine Kontrolle ist schwer möglich.“ Darüber, wie viele Meldungen über Komplikationen es in den letzten Jahren zu Hepatitis Impfungen gab, kann das PEI leider keine Angaben machen. „Wir planen eine entsprechende Veröffentlichung in den nächsten Monaten“, so die Pressesprecherin.

Im Nachschlagwerk „Impfreaktionen, Impfkomplikationen“ (Kilian-Verlag) war 1995 eine Tabelle mit UAW-Meldungen veröffentlicht worden. In der Spalte über Hepatitis B werden allergische Reaktionen, Krampfanfälle, Lähmungen, Hirnhautentzündungen, acht Todesfälle sowie acht Fälle plötzlichen Kindstodes aufgelistet. „Wenn eine Meldung gemacht wurde, heißt das noch nicht, dass die unerwünschte Wirkung tatsächlich in Zusammenhang mit der Impfung stand“, kommentiert Stöcker diese Zahlen. Die Aufgabe des PEI sei es, genauere Angaben beim Patienten zu erfragen und anschließend einen umfassenden Bericht zu erstellen. Solche Berichte sind aber bislang nicht öffentlich einzusehen.

Für skeptische Impflinge wären sie möglicherweise ein Anhaltspunkt, die Risiken einer Hepatitis-Immunisierung besser einschätzen zu können. Die Take-Care-Aufforderung „Lass dich impfen und dir kann nichts mehr passieren“ dürfte in jedem Fall etwas übertrieben sein. Jugendlichen gegenüber ist sie zudem nicht ganz ungefährlich: Immerhin könnten frisch geimpfte SchülerInnen die Message so auffassen, dass ab jetzt Safer Sex überflüssig ist. Kondome schützen jedoch bekanntlich auch vor einer HIV-Infizierung. Und dagegen gibt es bislang keinen Impfschutz.