Berliner Karrieren
: Endlich zuständig

■ Viel Milde: Ein Nachtrag zu Christoph Stölzls Wechsel vom DHM zur „Welt“

Heute gehört uns Deutschland und morgen ..., nein, nicht die ganze Welt, aber wenigstens deren Feuilleton. Natürlich ist Christoph Stölzl nicht der Mann, der unter der Dusche braune Lieder pfeifen würde.

Auch wenn es gerade mal zehn Jahre her ist, dass man dem Direktor des Deutschen Historischen Museums eine Affinität zur nationalsozialistischen Denkungsart unterstellte. Andreas Nachama, Historiker und heute Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, veröffentlichte damals einen offenen Brief, in dem er dem Historiker „unerträgliche Formulierungen zur jüdischen Geschichte, ungeheuerliche Verallgemeinerungen, abgefasst in der Terminologie des Stürmer“, vorwarf. Nachama zitierte dabei ausführlich aus einer früheren Publikation Stölzls (Christoph Stölzl: „Kafkas böses Böhmen. Zur Sozialgeschichte eines Prager Juden“. München 1975), und die taz dokumentierte die Anklage im Wortlaut.

Auch wenn später Nachama gerichtlich eine Wiederholung seiner Vorwürfe untersagt wurde, blieb für viele Linke die schaurige Vorstellung, dass es sich bei Stölzl um eine Art Wiedergänger aus dem NS-Propagandaministerium handeln musste, zu verlockend, als dass man von ihr abließ.

Hatte nicht Helmut Kohl persönlich diesen Münchener Museumsmann nach Westberlin gesandt, um mit dessen Hilfe in der besonderen politischen Einheit ein deutsches Nationalmuseum zu installieren? Und hatte nicht eben jener Kanzler Kohl mit seinem Bitburg-Auftritt und seinem Gorbatschow-Goebbels-Vergleich seine Unfähigkeit bewiesen, irgendeine Lehre aus der unseligen deutschen Geschichte zu ziehen? Was also war da schon von seinem glatzköpfigen Paladin anderes zu erwarten als die Errichtung eines Pantheons für Ewiggestrige: Konsalik-Lesung, Breker-Retrospektive, Jünger-Forum, Riefenstahl-Matinee usw.

„Überflüssig“ und „größenwahnsinnig“ nannte die AL folgerichtig das von Kohl initiierte Projekt und sträubte sich im rot-grünen Senat entschlossen gegen dessen Realisation.

Kurz darauf fiel die Mauer, wurde der Kommunismus geschlagen, kreisten Bundeswehrbomber mit grünem Segen über Jugoslawien, und das Wort Deutschland ist längst keine Chimäre mehr unter dem Arsch der Reaktion. Nein, inzwischen haben alle aufgesattelt, und so kann man verstehen, dass sich kaum noch jemand gern daran erinnern mag, wie hartnäckig er dereinst in Christoph Stölzls schwarz-rot-gold bestrumpfte Waden biss.

So schwingt allerorts Milde mit, wenn man nun den Wechsel des DHM-Direktors in die Niederungen des Berliner Feuilletons kommentiert. Vergessen die Maßstäbe setzende Abwicklung des im Zeughaus beheimateten DDR-Museums für Deutsche Geschichte. Bis auf Toilettenfrauen, Pförtner und Hausmeister feuerte Stölzl 1990 fast jeden, der hier zu Ostzeiten über deutsche Historie befand, um dann später ungestört und gemeinsam mit hoch dotierten Westmitarbeitern die Bestände Beifall heischend in bizarren Beutekunst- und Trödelshows zu präsentieren.

Vergessen sein Engagement für die Ausgestaltung der Neuen Wache, sein Kampf um das Aufblasen der Kollwitz-Plastik auf ein dem damals amtierenden Kanzler ebenbürtiges Maß. Vergessen auch solch markige Statements wie das über den „alten orthodoxen Föderalismus bundesdeutscher Prägung“, der endlich „ausgedient und abgewirtschaftet hat“.

Alle vormals ehernen Tabus sind gebrochen. Darüber, was Deutschland war, was es ist und wohin es geht, wird kaum noch ernsthaft gestritten. Nur folgerichtig ist es da, dass der ebenso umtriebige wie eloquente Historiker Stölzl die Bühne und also zur Welt wechselt. Wo er, wie er dem Spiegel gestand, endlich auch bei all den Dingen eifrigst mitreden kann, wofür es ihm bislang an Zuständigkeit fehlte. André Meier