Riester erwärmt sich für die Frührente

■ Beim Thema „Rente mit 60“ hat die Bundesregierung verstanden. Arbeitsminister will sich nun für das 5-Jahres-Modell, das die Mehrheit der Deutschen befürwortet, einsetzen

München (dpa/taz) – Im Streit um das Thema „Rente mit 60“ hat sich die IG Metall durchgesetzt. Nach einem Gespräch mit der Gewerkschaft und den Spitzenvertretern der Rententräger sagte Arbeitsminister Walter Riester, er werde sich für das Modell beim „Bündnis für Arbeit“ einsetzen. Die IG Metall will die Frührente bereits in der Tarifrunde 2000 durchsetzen.

Riester lobte die Rente mit 60. Sie sei „ein innovatives Modell zur Lösung anstehender Probleme“. Nach anfänglicher Ablehnung hat die Bundesregierung jetzt wohl verstanden. Die Mehrheit der Deutschen befürwortet die Rente mit 60. Nach einer Umfrage aus der vergangenen Woche unterstützen 73 Prozent das Modell, nur 24 Prozent halten es für „falsch“.

Künftig soll jeder, der 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, mit 60 aus dem Arbeitsleben aussteigen können, ohne dass seine Rente wie bisher um 18 Prozent gekürzt wird. Um dies zu finanzieren, sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den nächsten fünf Jahren jeweils 0,5 Prozent der Lohnsteigerung in Tariffonds einzahlen. Die Fonds sollen für die jeweiligen Branchen eingerichtet werden. Die IG Metall geht davon aus, dass insgesamt jährlich 16,5 Milliarden Mark zusammenkämen – theoretisch. Jeder soll zur Kasse gebeten werden, egal ob er selbst von diesem Modell profitieren wird. Die Bundesregierung will die Rückstellungen in den Tariffonds von der Steuer befreien.

Nehmen alle Berechtigten das Modell in Anspruch, belastet es die Rentenkassen im Jahr 2000 um 7,5 Milliarden Mark durch die frühere Auszahlung der vollen Rente. Im fünften Jahr würden sich die Mehrausgaben auf 11,8 Milliarden Mark kumulieren. Die Rentenversicherer gehen davon aus, dass pro Frührentner zwischen 50.000 und 100.000 Mark notwendig sind. Dieses Geld soll als Einmalbetrag vor dem Renteneintritt in die Rentenkassen gezahlt werden.

Zwickels Modell basiert auf der Idee, dass Jüngere den Älteren den Ausstieg finanzieren, damit Stellen frei werden. Die IG Metall hofft, dass in den nächsten fünf Jahren zusätzlich 1,5 Millionen Beschäftigte vorzeitig mit 60 aus dem Job gehen, wenn sie keine Abschläge hinnehmen müssten. Wie viele Stellen aber wirklich für die Nachrücker frei werden, ist fraglich – die Prognosen reichen von 170.000 bis zu einer Million.

Was einfach klingt, passt sich möglicherweise nur schwer in die soziale Wirklichkeit ein. In vielen Betrieben gibt es bereits Altersteilzeitmodelle, nach denen die Beschäftigten mit 62 Jahren ausscheiden. Viele Arbeitgeber gleichen die daraus resultierenden Rentenabschläge aus. Zudem verabschiedet sich ein Drittel der Beschäftigten schon frühzeitig über die Erwerbs- beziehungsweise Berufsunfähigkeitsrente. Völlig unsicher ist, ob Zwickels Rechnung von der Arbeitsumverteilung aufgeht. Die Erfahrungen mit vorhandenen Frührenten-Modellen zeigen, dass nur jeder siebte bis dritte Job wieder neu besetzt wird.

Annette Rogalla