Kalaschnikows im Kaukasus

Swanetien beeindruckt. Die georgische Gebirgsregion steckt voll rauher Schönheit und schießfreudiger Männer. Ein Bericht aus der Höhe der Menschheit   ■  Von Elisabeth Kapell

Maaazooni, Maaazooni, Maazooni“ – lautstark und mit lang gezogenen Silben preist eine alte Frau ihren Joghurt im Innenhof einer Plattenbausiedlung in Tbilissi, der Hauptstadt Georgiens, an. Ein Bewohner des gegenüberliegenden Hauses sorgt mit Wasser dafür, dass seine Rankepflanzen die Sommerhitze überstehen. Er nutzt die Gunst der Stunde, es gibt Wasser, und das ist meist nur frühmorgens für rund zwei Stunden der Fall.

Die Häuser, die 1984 errichtet wurden, zeigen deutliche Zeichen des Zerfalls und dokumentieren den privaten und öffentlichen Geldmangel. Der Beton bröckelt innen und außen. Die Wohnungen sind mittlerweile privatisiert. Strom- und Wasserrechnungen zahlt schon längst niemand mehr. Trotzdem gibt es hin und wieder Wasser und Energie. Politische Wahlen im Herbst gelten als Begründung. Illusionen sind hier fehl am Platz.

Tbilissi ist der Ausgangspunkt unserer georgischen Reise. Von hier geht es weiter nach Swanetien. Die Gebirgsregion, die im Westen an die ehemals autonome georgische Republik Abchasien und im Norden an die russische Grenze stößt, ist nur schwer zugänglich. Vorbei an der russischen „Friedenstruppe“, die die Grenze zur abtrünnigen Region Abchasien sichert, geht es hinauf in die Bergregion des Großen Kaukasus. Die schmale Straße schlängelt sich langsam und kontinuierlich in die Höhe: Sie ist eine von insgesamt zwei Möglichkeiten, nach Swanetien zu gelangen.

Der zentralgeorgische Stamm der Swanetier, der auf rund 20.000 Menschen geschätzt wird, konnte sich durch diese Abgeschiedenheit bis in die Gegenwart noch „zahlreiche ursprüngliche Sitten und Gebräuche“ erhalten. So jedenfalls formuliert es ein noch zu Sowjetzeiten erschienener Reiseführer. Perser, Araber und Osmanen, die im Laufe der Jahrhunderte Georgien besetzten und dem Land zwischen Europa und Asien ihren Stempel aufdrückten, sind bis in die Berge Swanetiens kaum vorgedrungen. Erst der Roten Armee, die die junge Demokratische Republik Georgien 1921 besetzte, lag daran, auch den letzten Winkel des transkaukasischen Landes zu kontrollieren.

Das Knacken der Kalaschnikows

Im Winter ist die Region so gut wie von der Welt abgeschnitten. Wir sind im Sommer schon froh, dass wir einen unerschrockenen Georgier mitsamt Bus angeheuert haben. Unser Fahrer, ein ehemaliger Ingenieur, hat das etwas verbeulte und verschweißte Gefährt mit einem Panzerwagenmotor aufgerüstet. Es hält die Schlaglöcher aus, die wegen ihrer Größe nicht umfahren werden können.

„Warum nimmst du die Kalaschnikow mit in die Berge?“ – Die Frage an den einheimischen Reisebegleiter stößt auf Unverständnis. „Einfach so,“ lautet sein lakonische Antwort. Er gehört mitsamt seinem Pferd und drei weiteren Reitern zur Reisekarawane in den Bergen. Sie waren kurz nach unserer Ankunft in den Bergen neben uns aufgetaucht und wurden dann spontan als Lastträger engagiert. „Schlechte Menschen gibt es überall, und dann ist es besser, bewaffnet zu sein“, ergänzt sein Landsmann, ein ehemaliger bekannter georgischer Ringer, der im Sommer auf der Alm lebt. Unsere swanetischen Beschützer schauen immer wieder ins Fernglas, dann setzen sie sich im Kreis zusammen, lautstark halten sie „Kriegsrat“, die Kalaschnikows krachen. Wir stehen abseits und warten.

Eine bewaffnete Bande, so erfahren wir schließlich, mache die Gegend, in die wir ziehen wollen, unsicher. Einige Männer hätten sich aus den Dörfern in die Berge zurückgezogen und schreckten auch vor Überfällen nicht zurück. Wir entschließen uns spontan, die Reise in eine andere Richtung weiterzuführen. Das Knacken beim Laden der Waffe oder die spontanen Schießübungen der Swanetier scheinen uns plötzlich nicht mehr ganz so fragwürdig.

„Die Berge sind ein rechtsfreier Raum“, sagt unser Reiseführer. Er muss es wissen, schließlich hat er zuvor in der Provinzhauptstadt Mestia Polizeidienst verrichtet. Der Polizeiposten dort wurde mehrfach abgebrannt. Mittlerweile hat er ein sichereres Domizil hinter den Marmorfassaden des Postamtes gefunden.

Während wir in den ersten Tagen in den Bergen mit der Hitze gekämpft haben, kann man sich nun kaum mehr vorstellen, dass man es ohne Pullover und Regenjacke hier aushalten kann. Nebel, Nieselregen und ein kühler Wind setzen uns auf dem Weg zum Pass zu, der uns ins nächste Tal führen soll. Der wahrscheinlich wunderbare Ausblick am zirka 3.000 Meter hohen Pass (so genau konnte das keiner sagen) bleibt uns verborgen. Die Nässe dringt langsam bis auf die Haut durch. Die Lasttiere müssen sich ausruhen, das Gepäck wird abgeladen. Unsere vier einheimischen Begleiter trocknen Schuhe und Pullover am Feuer, sie sind ohne die für Wohlstandseuropäer übliche Regenkleidung unterwegs.

Braungrüne Tümpel, schwarze Stürme

Die nächste Station soll ein kleiner Bergsee sein. Der Fußweg ist steil. Als wir den Tümpel erblicken, lässt dessen grünbraune Färbung die Hoffnung auf ein Ganzkörperbad schnell schwinden. Wir ziehen am Kamm entlang einige hundert Meter hinab auf ein wunderschönes Hochplateau. Eine kleine Quelle gibt es auch. Das macht glücklich, und die Sonne scheint ebenfalls.

Es bleibt aber nicht so. Bevor das Gewitter die Zeltplanen zum Schwingen bringt, verdunkelt sich über der swanetischen Bergkette der Himmel. Im Zeltinnern wakkelt es wie in einer alte Propellermaschine. Blitze erhellen die grau-schwarze Färbung des Horizonts. Ein kräftiger Regen treibt alle in ihre Zelte und testet nicht nur deren Qualität, sondern auch unsere Nerven. Die meisten plädieren dafür, das Angebot anzunehmen, bei der Mutter unseres Reiseführers in Mestia einen trockenen Unterschlupf zu finden.

Das tun wir denn auch. Die swanetischen „Krieger“ verabschieden sich standesgemäß. Sie reiten davon, nach einem großen Palaver, einem Erinnerungsfoto und, wie könnte es anders sein, dem Schuss zum Abschied. Sie schwingen sich auf ihre Pferde und reiten der untergehenden Sonne zu. Ein beeindruckender Abgang.

Das Wetter bleibt und die deutsche Gruppe in Mestia. Das örtliche Museum besitzt dank der abgelegenen Lage Swanetiens einige Kostbarkeiten. Swanetien wurde in Kriegszeiten von Königen und Fürsten zur sicheren Aufbewahrung von Schätzen genutzt. Ikonen aus dem 9. bis 14. Jahrhundert stehen in einem schlichten Holzregal nebeineinander, mit der Rückseite lehnen sie locker an der Wand. „Unsere Kultur ist von der russischen überlagert worden, viele Kunsttechniken sind verschwunden“, beklagt die Direktorin den kulturellen Verfall Swanetiens und Georgiens.

Dass der heutzutage eine neue materiell begründete Dimension zeigt, beweist der leerstehende, fast fertiggestellte Neubau des Museums, vor dem Bagger und Bauwagen langsam vor sich hin rosten. Schlechte Planung und schlechte Qualität haben den Bau unbrauchbar gemacht. Die Museumsdirektorin hofft auf Sponsoren und erwähnt nebenbei, dass auch die Ikonen mit deutschen Mitteln konserviert wurden. Wie viele Frauen ist sie ganz in Schwarz gekleidet. Es stirbt immer jemand, und die Trauerphase ist lang in Georgien.

Im Haus der 70jährigen Mutter unseres Führers haben wir, bedingt durch das Wetter, ausreichend Gelegenheit, uns mit der Ess- und Trinkkultur Swanetiens bekannt zu machen. An Maria Himmelfahrt, einem der wichtigsten Feiertage in Georgien, an dem man der Toten gedenkt, beginnt das Festmahl bereits am frühen Nachmittag. Die Frauen stehen schon morgens in der „Küche“, die sich im Sommer um einen großen holzbefeuerten Ofen abspielt, der unter einem Vordach im Freien steht. Sie tischen immer wieder neu auf: reichen Brot und Käse, gebratenes Kalbfleisch und Kartoffeln. Natürlich fehlt auch der Wodka nicht. Unser Fahrer ist der „Tamada“, er führt Regie bei Tisch, bringt Trinksprüche aus, gedenkt der Toten, trinkt auf die Gastfreundschaft des Hauses, die georgischen Frauen im allgemeinen, die anwesenden im besonderen, die Natur und den Frieden zwischen den Völkern. Zum Abschluss des Gelages trinken wir aus Trinkhörnern auf die Freundschaft. Ein höchst beeindruckendes Erlebnis.

„Warum wollt ihr denn eigentlich in die Berge?“, hatten sie gefragt, die swanetischen Reiter. Wie kann jemand den geregelten und gesicherten Alltag in Deutschland zu Gunsten der Unsicherheit der kaukasischen Berge verlassen? „Einfach so“, lautet unsere lakonische Antwort. Was für uns wirklich schön ist an ihren Bergen, bleibt ihnen ein Rätsel. Sie würden lieber heute gehen als morgen.