Hinterher dann noch ein bisschen reden

■ Permanentes Testbild“: Showcase Beat Le Mot luden zur Theorieparty. Musik und Text vergnügten sich im Podewil beim heavy petting, und an der Bar gab es den Slibovitz umsonst

Hinter den Hintergründen“: Was zum Teufel, wenn nicht abstruse Letztbegründungen, soll hinter diesem Veranstaltungsuntertitel stecken? Klänge es nicht zeitgemäßer, die Gedanken „oberhalb der Oberflächen“ schweifen zu lassen? Mit Kodwo Eshun die Phänomene komplex von der Zukunft her zu lesen, anstatt mit Lothar Mikos von der Vergangenheit?

Der Londoner Sonic-Fiction-Theoretiker und der Potsdamer Professor für Popgeschichte rahmten den Kongress „Permanentes Testbild“, zu dem die Performance-Formation Showcase Beat Le Mot am Wochenende eingeladen hatte. Die mehr von Medienkunst und elektronischer Musik als vom Schauspiel beeinflussten Produktionen der sechsköpfigen Männergruppe (zuletzt „Radar Radar – nichts ist egal“ und „Grand Slam“) zeichnen sich dadurch aus, dass sie zugleich als unterhaltsamer Clubabend und abgefeimt theoriegesättigte Reflexionsübung funktionieren.

Jetzt wollten die Artists in Residence am Podewil ganz bewusst mit „knallharter Theorie“ klotzen, um „mehr Transparenz“ in die Rezeption ihrer Arbeit zu bringen, die eigenen Fragestellungen an Kunst und Leben aufzufächern und dem Kulturjournalismus zu beweisen, dass Dilettantismus, Trash und Ironie die falschen Kategorien in der Bestimmung fortgeschrittener Entertainment-Künste sind. „Permanentes Testbild“ forderte somit nur vordergründig dazu auf, einen Blick ins Bücherregal der Artists zu werfen und dem Vorspielen ihrer Lieblingsplatten beizuwohnen. Hintergründig wurde Nachhilfeunterricht erteilt.

Die Frage nach der möglichen Bedeutung von Ambient Theatre und Social Design warf indessen hauptsächlich der Auftritt der norwegischen BAK-Truppen auf, um deren Musik-Performance „Very Good“ sich der Kongress gruppierte. Die Progression und Eleganz suggerierenden Schlagworte verflüssigten sich zwischen der Life-Art echter Körper und deren unmittelbarer medialer Abbildung auf einer Leinwand gleich daneben: rechts seltsame Unbeholfenheit, links schickes MTV und beides zusammen rauschendes Präzisionshandwerk in Rot. Im Hintergrund steht immer eine Bar.

Aber stimmt die Stimmung und warum? Welche Bild-, Sound- und Körperstrategien verbergen sich dahinter? Welche soziale Geschichte erzählt die Differenz zwischen aktiven Performern und passivem Publikum? Erst im Drüber-Reden wird manches very good.

Neben einigem angenehm verrauchten Leerlauf gab es vor allem musikologische Referate. Viel schöner als Mikos' ödes Sampling geisteswissenschaftlicher Vokabeln wie „Intertextualität“ und „kulturelles Gedächtnis“ oder Peter Feys Demonstration der Technoproduktion als Kinderspiel hörten sich Kodwo Eshuns „Sound Stories“ an. Mit sanfter, heller Stimme sprach der britische Musikjournalist über eifersüchtige Häuser, überschwemmte Küchen und sein vom Pantheistischen zum Pansonaren mutiertes Utopia. „Ambient“ waren House und Habitat, ein japanischer Underground-Flughafen sowie ein zierlicher Mann in cremefarbenem Rollkragenpullover, der ein begeisterndes Lächeln über die Goldrandbrille schickte: Es flirrte im Kopf und summte im Brustbein, bis die jungen Menschen sich tiefer in die Polster krängelten, der Materialhaftung wegen.

Dass ohne Mensch und Musiktechnologie nichts hinhaut, war soweit mehr als sonnenklar. In den experimentellen Unsinn als gar nicht hoch genug zu schätzendes Derivat von Sinn lappte der „selbstgenerierende Raum“, in den Schorsch Kamerun Probanden mit Seife, Waschlappen und CS-Gas steckte.

Nebenan präsentierten Karolina Sauer und Albrecht Kunze elektronisch-poetisch unterwanderte Sachkunde zu Hallräumen und Echokammern. Zu Veit Sprengers (Showcase) vor paradoxalen Spiegelungen nur so schillernden Vorlesung über die chamäleonischen Strategien Helge Schneiders wurden – „nächstes Dia bitte“ – bunte Organismen gezeigt, die Mimikry veranstalten.

Überhaupt waren alle bemüht, schönere Seminare und plastischere Vorträge, sozusagen Theorie und Praxis in einem schwebenden Mehr zu halten. Dabei half auch der frei ausgeschenkte Slibovitz.

Beim nächtlichen Feiern (social dancing) und Verspeisen von „Dobermann“ (social cooking), einem nahrhaften, heftig ans kulturelle Gedächtnis appellierenden Sandwich, konnte man noch ein wenig auf der Frage herumkauen, wie HipHop, Hallspiralen und dissimulierte Politiken künftig in streng analytische Besprechungen von Showcase Beat Le Mot fließen können.

Dass die Performance-Praktiker so ernst wie verspielt die Theorie einklagen, ist schließlich keineswegs die Ironie des Kongresses, sondern die Vision gelebter Paradoxie. Eva Behrendt