Träumereien von Lust und Liebe

■ Blitzeis“: In Peter Stamms Erzählungen wirken Frauen fremd und Männer wie Schwäne

Die Frau, das unbekannte Wesen. Mal lockend mit zärtlichen Gesten, dann wieder abweisend und unnahbar. Träge in der Hitze Italiens, gierig am Badesteg eines Schweizer Dorfweihers, kumpelhaft in schwedischen Wäldern, gefangen in der Enge des eigenen ungeliebten Körpers, melancholische Lust am Rande des Todes und unsichtbar, nur in den Sand einer nordischen Insel geschrieben: „Alien“. Was hier fremd scheint und doch geliebt wird, ist weder Göttin noch männliche Projektion, sondern der reale Name eines holländischen Mädchens, der Schönsten der Insel.

Peter Stamms neun Erzählungen über die Mysterien, die sich zwischen Frau und Mann abspielen können, lassen sich am ehesten zwischen den Zeilen lesen. Fast immer entwickelt sich in diesen Begegnungen eine eigenartige Spannung, ein Spiel der Möglichkeiten und Träumereien von Lust und Liebe. Oft ist Wasser in der Nähe, ob Weiher, Meer, Fjord, Regen oder Sauna – auf feucht-erotischen Wegen bewegen sich die Icherzähler und einige Frauen und Männer, die ihnen begegnen, meist in mäßigem Tempo auf Augenblicke der Entscheidung zu.

Die Erzähler machen dabei selten eine gute Figur, sie wollen mit den Frauen ins Bett oder nicht, darüber hinaus zeigen sie wenig Phantasie, Charme oder Antriebslust. Man könnte verstehen, wenn die Frauen dankend ablehnen; tun sie es nicht, ist es nicht männliches Verdienst. Peter Stamm, der 1998 mit der Liebesgeschichte um „Agnes“ für einiges Aufsehen sorgte, erzählt frei von Ironie und Ideologie, eher mit einer kalkulierten Nonchalance und dem Gestus neugieriger Offenheit. Man liest diese Texte gern und schnell, bleibenden Eindruck hinterlassen sie im Grunde nicht.

Mit zwei Ausnahmen allerdings: „Jedermannsrecht“ ist, abgesehen vom Schlussabsatz, eine wunderbar klare, gut getimete, sehr präzise beobachtete und an einigen Stellen auch witzige Geschichte über eine Kanufahrt in schwedischen Gewässern, die die Zwanghaftigkeit und den Leistungsdruck von Beziehungen sehr schön offenbart. Und die Titelgeschichte „Blitzeis“ spielt gekonnt auf zwei Ebenen mit unseren Ansprüchen an die Liebe und den Schwierigkeiten, diese Erwartungen zu formulieren und einzulösen. Die an unheilbarer Tuberkulose erkrankte Larissa erinnert sich an eine Szene aus der Charles-Vidor-Komödie „Der Schwan“ (1956) mit Grace Kelly und Alec Guinness, in der der von Louis Jourdan gespielte Professor zitiert wird: „Du bist wie ein Schwan. Immer auf dem See, majestätisch und ruhig. Doch das Ufer wirst du nie betreten. Weil ein Schwan, wenn er ans Ufer geht, wie eine dumme Gans aussieht.“

An der Angst, die eigenen Grenzen zu überschreiten und etwas zu riskieren, vielleicht sich auf jemanden einzulassen, daran scheitern Peter Stamms Männerfiguren. Weniger Bescheidenheit und etwas mehr Courage wünschte man Peter Stamms Erzählern in doppelter Hinsicht.

Thomas Kraft‚/B‘ Peter Stamm: „Blitzeis“. Erzählungen. Arche Verlag, Zürich-Hamburg 1999. 139 Seiten, 32 DM