Der Genosse der Genossen

■  Kanzler Schröder wird als der große Holzmann-Retter gefeiert. Günstig, so kurz vor dem gefürchteten SPD-Parteitag. Doch politischen Freunden und Beratern ist ganz mulmig

Jetzt bloß keinen Fehler machen, keinen falschen Übermut, keine überhebliche Geste zulassen. Es ist der Tag nach Frankfurt: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat einen persönlichen Erfolg verbuchen können, doch seine Fanfaren schweigen. Diejenigen, die bezahlt werden, um Gutes über den Kanzler zu verbreiten, sind damit beschäftigt, die Stimmung zu dämpfen. „Euphorie“, sagt einer, wäre das falsche Wort, um die Empfindungen im Kanzler-Lager zu charakterisieren. Selbst das stärkste Statement eines Regierungssprechers kommt heute niedersächsisch erdverbunden daher: „Ein wichtiger Arbeitserfolg.“

Wie erklärt sich die Zurückhaltung? Wird den Machern im Kanzleramt am Tag danach bewusst, wie verwundbar ihre Entschlossenheit bei der Holzmann-Intervention sie gemacht hat? Die Financial Times geißelte schon am Mittwoch Schröders Flug nach Frankfurt als „lächerlich“ und „beunruhigend“. Auch so mancher Oppositionspolitiker in Berlin greift das Argument auf, der Modernisierer Schröder habe sich als Sozi alter Prägung erwiesen, der mit dem Griff in die Staatskasse eine Pleite abwendet. Vielleicht nimmt man sich aber auch aus einem viel einfacheren Grund zurück. Womöglich bedarf ihr Chef heute des Jubelns gar nicht, so stark waren die Bilder vom Vorabend.

Der Vorabend: Mehr als 2.000 „Holzmänner“ frieren am Mittwoch in Frankfurt in ihren dünnen gelben Jacken. Die Feuer in den Tonnen schützen nur wenige vor der Kälte, und auch das „Lied von der Solidarität“ von Sänger Viktor oben auf der Pritsche des von der IG Bau gecharterten Lkw wärmt die Protestierenden nicht. 17.000 „Holzmänner“ werden alleine in Deutschland arbeitslos, ist inzwischen für die meisten Gewissheit. Der Hass auf die Geldinstitute kannte im Bankenviertel der Bankenmetropole Frankfurt keine Grenzen mehr. „Die Kakerlaken da drin, die uns das eingebrockt haben, gehören vernichtet“, schreit einer von ihnen am Nachmittag vor der Konzernzentrale in ein Fernsehmikrofon. An der Wortwahl reiben sich die Kollegen: „Sag mal, spinnst du jetzt?“

Dann ziehen sie los: vorbei an den Zwillingstürmen der Deutschen Bank. Das erste Pfeifkonzert. Weiter zur Commerzbank. Das zweite, lautere Pfeifkonzert. Die Angestellten in den unteren Stockwerken sehen aus den Fenstern: „Heute wir – morgen ihr“, skandieren die „Holzmänner“. Unter dem Hochhausdach interessiert die Banker ein anderes Thema. Barkeeperin Yessim Kirdas vom Tigerpalast wurde zur besten Nachwuchsmixerin gewählt. Ihr Drink: Exotic Dream. Was bleibt, ist also einzig die Hoffnung auf den Kanzler, dessen Regierungshaushalt kleiner ist als der Jahresumsatz etwa der Deutschen Bank.

Der Kanzler kam und sah. Schwungvoll enterte er am Abend den Lkw der Gewerkschaft. Beifall. „Ich bin gekommen, um die Banken in die Pflicht zu nehmen“, ruft er. Beifall und Jubel. „Ein sanierungsfähiges Unternehmen darf man nicht einfach kaputtgehen lassen!“ Frenetischer Beifall und Jubelstürme. „Wir können es uns heute nicht leisten, auch nur einen einzigen Arbeitsplatz kampflos preiszugeben.“ Beifall ohne Ende und noch mehr Jubelstürme. Einige Feuerwerksraketen sind fällig. Dann der coole Abgang: „Danke Kollegen – aber jetzt müssen wir arbeiten.“ Die Bodyguards bahnen dem Kanzler einen Weg durch die euphorisierte Menge. „Gerhard, Gerhard!“, rufen sie. Nicht nur Bild, nein, auch der Kanzler kämpft für sie alle.

„Der Kanzler wird es schon richten“, reden sie sich nun alle ein. Drinnen in der Konzernzentrale ringt IHR Kanzler mit den Banken – und siegt. Schröder, der Kanzler und Parteivorsitzende, wird also doch noch als Good Guy in die SPD-Geschichte eingehen. Als Arbeiterkanzler.

Gegen 21.30 Uhr kommt der Kanzler: „Liebe Freunde, wir haben es geschafft.“ Jubel ohne Ende in der Taunusanlage. Die „Holzmänner“ tanzen ausgelassen um die Feuer in den Tonnen. Und als IHR Kanzler sie längst verlassen hat, ziehen sie zum Feiern über die Mainbrücken nach Sachsenhausen. In der letzten S-Bahn zum Flughafen (Großbaustelle) war noch immer Stimmung. Heute wird auf den Holzmann-Baustellen wieder gearbeitet.

„Die Linke kann damit zufrieden sein“, sagt der SPD-Linke Konrad Gilges am Tag danach in Berlin. Um die Zufriedenheit von solchen Sozialdemokraten wie dem Fliesenleger und Bundestagsabgeordneten Gilges hat Schröder sich lange Zeit nicht besonders gekümmert. Doch in zwei Wochen steht dem neuen SPD-Vorsitzenden ein Parteitag ins Haus.

In Regierungskreisen mag man den bösen Verdacht nicht einmal kommentieren, Schröders Rettungsmission habe vielleicht auch dem Retter selbst geholfen. „Ach Gott!“, seufzt ein Offizieller über so viel Schlechtigkeit. Konrad Gilges sieht das unumwundener. „Er versöhnt sich ein bisschen mit den Gewerkschaften. Das erwarten die Bauarbeiter von ihrem Bundeskanzler, da sind sie dankbar – und das sage ich als Bauarbeiter.“

Nach dem Schröder/Blair-Papier und dem Sparpaket habe der Kanzler schließlich bei den Arbeiterfamilien einiges gutzumachen gehabt. „Jetzt hat er das gemacht, was wir immer gefordert haben: Er hat in die Wirtschaft eingegriffen, um Arbeitsplätze zu retten.“

Die Modernisierer im Kanzleramt empfinden solche Umarmungen als beklemmend. Die Holzmann-Sanierung sei ein Einzelfall, wird betont, und keine neue Industriepolitik. Am Kampf gegen die „Subventionitis“ wolle man festhalten, sagt ein Schröder-Berater. Die öffentliche Begeisterung über die Rettung anzuheizen, das wäre genau der falsche Schritt. „Es ist ohnehin eine alte sozialdemokratische Tendenz, wenn etwas noch mal gut gegangen ist, die Verschnaufpause nicht zu nutzen.“

Klaus-Peter Klingelschmitt,

Frankfurt am Main

Patrik Schwarz, Berlin